Tod einer Strohpuppe: Kriminalroman
zugeben,dass wir keine Indizien gefunden haben, die Zweifel an den Todesumständen erhärten könnten. Darauf können wir noch einmal
zurückkommen. Das Wichtigste erscheint mir im Moment, Iwan Gorenski festzunehmen, bevor er völlig durchdreht und nicht nur
The Wake
, sondern das ganze Dorf ins Visier nimmt. Was durchaus schon Samstag passieren könnte.« Er nahm das Fax der russischen Polizei
zur Hand und betrachtete das Foto erneut. »Das ist er, ganz ohne Zweifel.«
Webley sah Sal an. Sal sagte: »Ganz einfach. Wir geben Alain Anweisung, die Hochzeit von Thinbeach abzusagen. Gefährdung der
öffentlichen Sicherheit.«
Fletcher schüttelte den Kopf. »Das wäre möglich, aber ich habe noch einmal darüber nachgedacht. Ich glaube, das würde Iwan
erst recht zum Angriff reizen. Das Dorf wird immer eine leichte Zielscheibe sein, mit oder ohne Hochzeit. Vermutlich plant
er irgendeine verrückte psychologische Rache – aber im Moment geht er wenigstens recht methodisch vor. Solange er sich so
verhält, ist er berechenbar und die Gefahr eingrenzbar.«
Webley nickte. »Interessant. Als ich Sie heute anrief, fand genau die gleiche Diskussion in meinem Büro statt. Es war ein
Gespräch auf höchster Führungsebene. Zu Beginn des Gesprächs wurde die Option, unsere bewaffneten Kollegen hinzuzuziehen,
um die Russen, nun, sagen wir einmal, zu neutralisieren, eindeutig vorgezogen. Dabei besteht allerdings das Problem, dass
wir derzeit nicht wissen, wo die Russen sich aufhalten. Dann schob sich ein anderer Aspekt in den Vordergrund. Es ging dabei
um Fragen des Polizeimanagements.«
Fletcher und Sal blickten beide auf.
Webley dozierte: »
Die Rolle moderner Polizeidienstleistungen besteht darin, sowohl die Kriminalität als auch die öffentliche Wahrnehmung der
Kriminalität zu managen.
Ich zitiere hier jemanden, der hierarchisch noch über dem Commandersteht. Sehen Sie, der Bezirk Cambridgeshire steht in der öffentlichen Wahrnehmung der Kriminalität recht positiv da. In der
Meinungsumfrage des Innenministeriums zum Thema Kriminalität haben wir unter Stichpunkten wie: ›Fühlen Sie sich sicher? Empfinden
Sie die Polizei als kompetent? Fühlen Sie sich von der Polizei gut beschützt?‹ und so weiter sehr gut abgeschnitten. Auf höchster
Ebene sind das Ergebnisse, die zählen.
Man kann die Bedeutung des Markenimages der Polizei nicht hoch genug einschätzen –
wieder ein Zitat. Die Führungsebene ist nun der Meinung, dass ein Feuergefecht mit der russischen Mafia diese positive Wahrnehmung
beeinträchtigen würde. Eine bewaffnete Auseinandersetzung mit Bankräubern, Geiselnehmern oder Terroristen wäre zum Beispiel
kein Problem und würde sich positiv auf unser Image auswirken. Aber bitte nicht mit russischen Gangstern, Ex-Soldaten, die
auf das Gesetz pfeifen. Wie erfolgreich auch immer eine solche Aktion verliefe, die Öffentlichkeit würde sich dennoch Fragen
stellen wie: ›Wie sind diese Russen in unser Land gekommen? Wie viele von ihnen sind noch da? Bin ich persönlich bedroht?‹
Das wäre gar nicht gut für unser Markenimage.« Sie schwieg, und in der Stille hörte man das Surren des Ventilators. »Ausschlaggebend
aber ist letztlich diese Geschichte aus dem Jahr 1979, von der das Innenministerium mit Sicherheit nicht will, dass sie wieder
ausgegraben wird.
Und ein harmonisches Verhältnis zum Innenministerium ist für einen modernen Polizeidienst von größter Bedeutung.
Das ist für heute das letzte Zitat.«
Fletcher blickte sie unverwandt an. »Dann läuft das mit den Umfragewerten, dem Markenimage und dem Innenministerium also darauf
hinaus, dass nicht geschossen wird.«
»Nun ja, wie Sie selbst es formuliert haben, nur im Notfall. Sie wollten es ja so – wenn auch vermutlich aus anderen Gründen.
Aber Sie müssen die Russen finden, bevor die beiden in diesem Dorf etwas Schlimmes anrichten. Sie hattendoch schon Kontakt zu Gorenski, das sollten Sie ausnutzen. Vielleicht hört er Ihnen ja zu und lässt sich überzeugen, dass
der Tod seines Vaters ein Unfall war. Sagen Sie ihm, dass das Glockenspiel schon darauf brennt, ihn sich vorzuknöpfen. Da
er sich illegal hier aufhält, können Sie ihn ohne weiteres festnehmen. Und dann schicken wir ihn in aller Stille nach Hause.«
»So, wie wir seinen Vater nach Hause geschickt haben«, merkte Sal an.
Webley musste lächeln. Diese beiden hatten eine schwierige Aufgabe vor sich, und sie musste einschätzen, ob sie
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