Tod einer Strohpuppe: Kriminalroman
häufigeren Besuchen verfolgt, wie Luke heranwuchs. Er und Cathleen waren gute Freunde,
sagte er sich, mehr nicht. Doch damals war etwas geschehen, das ihn unlöslich mit Mutter und Sohn verband. Und jetzt versuchte
jemand, diese beiden getrennten Seiten seines Lebens zusammenzubringen.
»Wenn sie es herausfinden, Tom«, sagte sie, »und wenn Luke es dadurch herausfindet . . .« Sie beendete den Satz nicht.
»Sie werden es nicht herausfinden«, entgegnete er. »Das lasse ich nicht zu.«
Cathleen lächelte, doch ihr Blick blieb düster. »Deswegen hängt er so an dir, Tom Fletcher. Weil du immer so ein verdammter
Held bist.«
Er zwang sich ein Lächeln ab, obwohl ihm eigentlich nicht danach war. »
Billy, Don’t Be A Hero
«, sagte er. »Das musste ich mir gestern im Rahmen meiner dienstlichen Pflichten anhören. Und dann noch
Save Your Kisses For Me
.«
Sie schloss die Hintertür. »Das war bestimmt hart.«
»Allerdings. Was sind das bloß für Typen, die rumsitzen und Paper Lace und Brotherhood of Man hören?«
»Was für Typen? Polizisten wahrscheinlich.«
»Danke vielmals.«
»Gern geschehen.«
Sie legte den Riegel vor und ließ ihn mit einem Ruck einrasten.
Als Sal Moresby nach Hause kam, wirkte die Wohnung verlassen. Auf dem Tisch im Wohnzimmer standen ein paar Bierdosen und in
der Küche stieß sie auf eine leere Weinflasche neben dem Mülleimer.
Sie schaute ins Schlafzimmer, hörte den Atem ihres Freundes und sah seine Umrisse im Dämmerlicht. Ihr fiel plötzlich auf,
dass sie fast eine Woche lang kaum ein Wort mit ihm gewechselt hatte, und dann fiel ihr auf, dass ihr das gar nichts ausmachte.
Sie duschte lauwarm und wusch sich den Regen Cambridges aus dem Haar. Sie dachte über Fletcher und Webley und diese merkwürdige
Beziehung zwischen den beiden nach. Die Art, wie Webley ihn heute Abend angesehen hatte. Liebevoll besorgt.
Alle sagen, dass es nach einer Weile immer so läuft. Irgendwann hast du mehr mit deinen Kollegen gemeinsam als mit irgendwem
sonst auf der Welt. Die Polizei wird deine Familie.
Sie lächelte vor sich hin, das Gesicht unterm Wasserstrahl: So weit war es bei ihr noch nicht.
Sie schlüpfte nackt ins Bett. Die Bettlaken fühlten sich zerknautscht und warm an statt kühl, wie sie es sich gewünscht hätte.
Sie drehte sich zur Seite, damit sie ihn möglichst nicht berührte und seinen Atem nicht spürte. Dann schloss sie die Augen.
Auf der Heimfahrt durch die Mill Road blickte Fletcher immer wieder in den Rückspiegel und spähte auf der Suche nach dem Omega
in die Seitenstraßen, wurde aber nicht fündig. Eswaren fast keine Autos unterwegs, und die Straßen waren noch nass, doch nach dem Regen wehte nun ein warmer, schwüler Wind.
Fletcher dachte daran, wie Cathleen ihre Hintertür verriegelt hatte.
Was sind das für Typen?
Er bog links auf den Gonville Place ein und fuhr am Schwimmbad vorbei, dessen Sicherheitsbeleuchtung schimmerte. Parker’s
Piece war zu einer großen, violetten Fläche verschwommen. Vor dem Scott Polar Institute stand ein Bronzedenkmal. Mit ausgestreckten
Händen schaute die Statue zur Wolkendecke hinauf, die oben am Himmel allmählich aufriss.
Fletcher sah das Denkmal nicht.
Denn vor seinem inneren Auge stand die alte, zerschrammte Kassette. Er hörte wieder das Rauschen des Mikrofons, das Gläserklirren
und die alkoholisierten Stimmen. Die Aufnahme war so kurz, dass er sie beim Abbiegen in die Trumpington Street im Geist schon
durchhatte und noch einmal von vorn anfing. Als er unter den Augen der Steinlöwen, die das Wasser im Rinnstein bewachten,
am Fitzwilliam Museum vorbeifuhr, rastete etwas ein, und er wusste Bescheid.
Schließlich fiel Sal in einen unruhigen Schlaf, den Schlaf schwüler Sommernächte, in denen das Tageslicht kaum vergeht und
irgendetwas ständig am Bewusstseinsrand lauert und allmählich näher kommt. Als sie noch vor dem Morgengrauen erwachte, war
es verschwunden.
Sie drehte sich auf den Rücken und versuchte wieder einzuschlafen. Ihr Freund bewegte sich. Sie spürte seine Hand, die tastend
von ihrem Brustkorb zum Bauchnabel wanderte.
Sie stieß sie leise fluchend zur Seite und stand auf. Noch immer nackt trat sie auf den Balkon und zog die Schiebetür hinter
sich zu. Die Luft war warm und schwül. Sie stand in einer flachen Regenwasserlache, und als sie sich in die Dunkelheithinausbeugte und den warmen, feuchten Wind über ihre Haut streichen ließ, spürte sie das Wasser
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