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Tod eines Eisvogels - Roman

Tod eines Eisvogels - Roman

Titel: Tod eines Eisvogels - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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trieben. Manuels Vater kassierte im Laufe der Zeit bestimmt ein Dutzend davon ein, schlitzte sie mit dem Messer auf und warf sie uns aus dem Schlafzimmerfenster herunter, wenn er mittags für die Nachtschicht vorzuschlafenversuchte und wir ihn nicht zur Ruhe kommen ließen.
    Oder es sirrte der spitze Schrei einer Katze durchs alte, von Hitze warme Gemäuer, und ein Kohlweißling schaukelte zu den Blumenkästen der Alten, während aus den Dachluken der Spanier der Geruch von Haarwasser und in Knoblauch geschmortem Tintenfisch in den Hof strömte. »Klein Vigo«, wie die Leute in der Nachbarschaft das Spanierhaus nannten, war ein Geruchsparadies.
    Das hellrote Leuchten der Geranien, die naß tropfenden, quer durch den Hof gespannten, sich im Sommerwind wiegenden Wäschestücke in der Höhe, die das kleine Himmelsloch weiß beflaggten und unter die wir uns manchmal stellten, um uns die vom Toben pochende Stirn zu kühlen – all das stand wie zum Greifen nah vor meinem geistigen Auge, als wir über die Autobahn glitten und das Land in der weißen Glut brütete. Wir stießen vor an die Ränder eines Tages, an dessen Himmel dunkle Wolken aufzuziehen begannen.
    Wie Pforten zu meiner Erinnerung schienen sich die Felder vor uns zu teilen, und so flogen wir dahin, und ich kehrte in Gedanken zu jenen Tagen zurück, als Leni noch meine große Schwester war, Onkel Viktor für die Firma nach Feierabend Plexiglasminiaturen komplizierter Hochöfen baute und Mutter noch eineFrau war, die sich in schicke Röcke hüllte: die Zeit der großen Ferien. Sommerzeit, Fußballträume, Glücklichsein.
    Dann holten wir Jungens uns nach dem Frühstück ab, zogen zu acht oder zehnt durch das lichtlose Gäßchen hinter dem Ballführenden her, und Manuel spuckte Sonnenblumenkerne. Liefen wir so durch die Häuserschlucht und erzählte Joseph, ein kleiner, pummeliger und ballvernarrter Dribbler aus Valencia, von dem Spätfilm, den er am Abend zuvor heimlich angeschaut hatte, bevor auch sein Vater von der Schicht heimkam, dann sog ich die warme Vormittagsluft so tief ein, daß es mir hinter den Ohren prickelte.
    Hatten wir den weitläufigen Sportplatz in der Senke vor dem alten Wasserturm endlich erreicht, wo die schiefen Holztore auf unsere Eckbälle und Freistöße warteten und sich der Friedenskirchturm wie ein stummer Wächter in den blauen Himmel erhob, waren wir alle leicht vor Glück.
    Manchmal kam Leni vorbei, wenn Mutter sie mit dem Rad schickte, um mich zum Essen heimzuholen. Meist lagen wir bereits erschöpft und mit hochroten Köpfen und nackten Oberkörpern im Gras, und unsere Münder hingen süchtig an den kreisenden Wasserflaschen.
    Ich saß auf dem Gepäckträger, wenn sie mich über harte Bordsteine nach Hause fuhr, und noch heuteglaube ich die Stöße in den Pobacken zu spüren, beobachte ich Kinder dabei, wie sie mit ihren Rädern über die hohen Steinkanten sausen und die Hinterräder drüberholpern, daß die Schutzbleche klappern. An Regentagen erzählten wir uns, auf den Steinstufen sitzend, Folgen von »Bezaubernde Jeannie« oder »Auf der Flucht« nach oder spannen sie weiter oder kleine selbsterfundene Geschichten, die die Spanier »aventis« nannten. Oder wir spielten in der dunklen Toreinfahrt der Katzenhexe stundenlang das Bildchen-Spiel. Wer sein »Bronco«- oder Fußballbildchen aus einem Abstand von zwei Metern am nächsten an die Hauswand zu zirkeln verstand, kassierte von den andern pro Durchlauf einen Groschen. Joseph war der beste von uns, und fast immer landete unser Geld in seiner Tasche. Die Süßigkeiten, die er sich hinterher davon in Babels Bäckerei kaufte, teilte er dann aber jedesmal brüderlich mit uns.
    Und dann kamen mir die Rutkowski-Brüder in den Sinn, zwei braune Mischlinge, die hinter der alten Schule am Ende der Bienengasse in einem schlecht verputzten Vorkriegshaus wohnten. James, ein linkischer und hintertriebener Junge mit glattem, immer zerzaustem Haar und immer aufgeplatzten Lippen, erschlug später, als Achtzehnjähriger, einen Mann wegen 180 Mark von hinten mit einem Stein und saß vier Jahre dafür im Gefängnis. Raimund, sein um ein Jahrälterer Bruder, ein ewig schnatternder Bursche mit Afro-Look und breiten Nasenflügeln, der schneller laufen konnte als wir alle, legte sich kurz darauf in der Nähe unseres Bolzplatzes eines Nachts auf die Schienen. Der Lokführer hat ihn zu spät gesehen. Passanten fanden seinen vom Rumpf getrennten Kopf in einem Gebüsch neben der Bahnstrecke. Die Wucht

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