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Tod eines Fremden

Titel: Tod eines Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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unschuldig hielt und Monk für schuldig? Ehre ging vor Freundschaft. Einen Unschuldigen lässt man nicht für einen anderen Mann hängen.
    Sie ging die Stufen hinauf und hielt sich dabei am Handlauf fest wie Rider. Als sie oben war, rang sie nach Luft, aber nicht wegen der körperlichen Anstrengung, sondern wegen des Erstickungsgefühls in ihrer Brust. Ihr Herz klopfte heftig und viel zu schnell, und der Saal verschwamm vor ihren Augen.
    Sie hörte Rathbone ihren Namen sagen und zwang sich, sich zu konzentrieren und zu antworten, zu sagen, wer sie war und wo sie wohnte, und zu schwören, dass sie die Wahrheit und nichts als die Wahrheit sagen würde. Sie richtete den Blick auf Rathbones Gesicht. Er sah genauso aus wie immer, mit seiner langen Nase, seinen ruhigen dunklen Augen, seinem sensiblen, humorvollen Mund und dem klugen Gesicht, das jeder Grausamkeit entbehrte. Noch vor kurzem hatte er sie sehr geliebt. Das tat er doch sicher als Freund immer noch.
    Er sagte etwas. Sie musste zuhören.
    »Ist es wahr, Mrs. Monk, dass Sie in der Gegend um den Coldbath Square ein wohltätiges Haus für die medizinische Behandlung von Prostituierten führen, die krank oder verletzt sind?«
    »Ja …« Warum, um alles in der Welt, fragte er das?
    »Sie sind vor kurzem umgezogen, aber in der Nacht, als Mr. Nolan Baltimore starb, lag Ihr Haus direkt am Coldbath Square?«
    »Ja …«
    »Haben Sie und Miss Ballinger an diesem Abend gearbeitet?«
    »Ja.«
    Fowler wurde unruhig. Rathbone ignorierte ihn ganz bewusst – er wandte ihm den Rücken zu.
    »Mrs. Monk«, fuhr er fort, »kamen in dieser Nacht Verletzte zu Ihnen?«
    Sie hatte keine Ahnung, warum er sie danach fragte. Glaubte er am Ende doch, dass Nolan Baltimores Tod etwas mit dem Eisenbahnbetrug zu tun hatte? Etwas, was Monk übersehen hatte?
    Alle beobachteten sie und warteten.
    »Ja«, antwortete sie. »Drei Frauen kamen, und später noch einmal zwei.«
    »Schlimm verletzt?«
    »Weniger als viele andere. Eine hatte sich das Handgelenk gebrochen.« Sie versuchte, sich genau daran zu erinnern. »Die anderen hatten blaue Flecken und Schnittwunden.«
    »Wissen Sie, wie sie sich ihre Verletzungen zugezogen hatten?«
    »Nein. Ich frage nicht danach.«
    »Wissen Sie, wie sie heißen?«
    Fowler konnte seine Ungeduld nicht mehr im Zaum halten. »Euer Ehren, das ist alles gut und schön, aber es vergeudet die Zeit des Gerichts! Ich …«
    »Es ist wesentlich für die Verteidigung, Euer Ehren!«, schnitt Rathbone ihm das Wort ab. »Um alles verständlich zu machen, kann ich nicht schneller vorgehen.«
    »Verständlich!«, explodierte Fowler. »Dies ist das größte Kauderwelsch, das ich in zwanzig Jahren je in einem Gerichtssaal gehört habe …« Er hielt abrupt inne.
    Der Richter zog die Augenbrauen hoch. »Sie sollten diese Beobachtung vielleicht anders ausdrücken, Mr. Fowler. So klingt sie ein wenig unglücklich. Andererseits möchten Sie Sir Oliver vielleicht erlauben fortzufahren, in der Hoffnung, dass wir zu einem Schluss kommen, bevor es Abend wird.«
    Fowler setzte sich.
    »Wissen Sie, wer die Frauen sind, Mrs. Monk?«, fragte Rathbone noch einmal.
    »Nell, Lizzie und Kitty«, antwortete Hester. »Ich bitte sie nur um einen Vornamen, mit dem ich sie ansprechen kann.«
    »Und erzählen Sie ihnen mehr über sich selbst?«, fragte er.
    Der Richter runzelte die Stirn.
    »Tun Sie das?«, hakte Rathbone nach. »Wissen diese Frauen zum Beispiel, wer Sie sind oder wo Sie wohnen? Bitte, beantworten Sie diese Frage sehr genau, Mrs. Monk!«
    Sie versuchte, sich darauf zu besinnen, und erinnerte sich an Nells Neckerei und ihre Bewunderung für Monk. »Ja«, sagte sie laut und deutlich. »Nell wusste es. Sie sagte etwas über meinen Mann, sein Auftreten, seinen Charakter, und sie nannte mich beim Namen.«
    Erleichterung überzog Rathbones Gesicht wie ein Sonnenstrahl. »Vielen Dank. Wussten sie vielleicht auch, zumindest ungefähr, in welcher Gegend Sie wohnen?«
    »Ja .. in etwa.«
    »Hat eine von ihnen zufällig Mr. Monks Beruf erwähnt?«
    »Ja … ja, Nell. Sie … findet ihn interessant.«
    Der Richter schaute Rathbone an. »Kommen Sie bald zur Sache, Sir Oliver? Ich sehe das bislang noch nicht. Endlos lasse ich das nicht zu.«
    »Das tue ich, Euer Ehren. Ich bitte um Verzeihung für die Zeit, die es braucht, aber wenn ich nicht die ganze Geschichte darlege, ergibt sie keinen Sinn.«
    Der Richter verzog ein wenig das Gesicht und lehnte sich zurück.
    Rathbone wandte seine

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