Tod eines Fremden
überhaupt keinen Grund, schlampige Arbeit oder unzureichendes Material anzunehmen. Wenn es um Landbetrug geht, dann ist das sicher unlauter, aber es führt nicht zu Unfällen.«
Sie senkte den Blick, wandte sich so weit ab, dass er nur noch ihr Profil sehen konnte, und ließ seinen Arm los. Als sie sprach, war sie kaum zu verstehen.
»Ich habe Ihnen nicht alles erzählt, Mr. Monk. Ich hatte gehofft, nicht darüber sprechen zu müssen. Ich schäme mich, dass ich auf dem Treppenabsatz stehen geblieben bin und ein Gespräch in der Halle unten mit angehört habe. Ich habe einen leichten Schritt und werde oft nicht gehört. Das ist keine Absicht, nur eine Angewohnheit aus der Kindheit, als meine Mutter mir einschärfte: ›Damen sollten sich leise und anmutig bewegen.‹« Sie atmete tief durch, und er sah, dass sie rasch blinzelte, als kämpfte sie mit den Tränen.
»Was haben Sie gehört, Miss Harcus?«, fragte er freundlich und wünschte sich, er könnte ihr mehr Trost bieten und den ungenannten, aber leicht zu erahnenden Kummer in ihr erreichen. »Ich beharre nur ungern darauf, aber ich muss wissen, ob ich an den richtigen Stellen nach der Unredlichkeit suche, die Sie fürchten.«
Sie hielt den Blick abgewandt. »Ich habe gehört, wie Jarvis Baltimore zu Michael sagte, solange niemand entdeckte, was sie gemacht hätten«, sagte sie leise, »wären sie beide reiche Männer, und diesmal würde es keinen Unfall geben, der den Gewinn beeinträchtigte, und wenn doch, würde niemand eine Verbindung ziehen.« Sie wandte sich ihm mit blassem Gesicht wieder zu, ihre Augen blickten fordernd. »Kann es eine Rolle spielen, wo ein Unfall sich ereignet? Es geht immer um menschliches Leben, Menschen, die so verletzt werden, dass man ihnen nicht mehr helfen kann. Bitte, Mr. Monk, wenn Sie die Fähigkeit oder das Talent besitzen, dies zu verhindern, dann tun Sie es, nicht nur um meinet- oder um Michael Dalgarnos willen, den ich, wie Gott weiß, vor jedem Schaden schützen möchte, sondern um der Menschen willen, die womöglich in dem Zug sitzen, wenn es passiert!«
Er fröstelte innerlich, die Bilder verstümmelter Menschen standen ihm allzu deutlich vor Augen.
»Ich sehe nicht, wie Betrug beim Landkauf einen Unfall verursachen könnte, aber ich verspreche Ihnen, dass ich alles in meiner Macht Stehende tun werde, um herauszufinden, ob es bei Baltimore und Söhne Diebstahl oder Unredlichkeiten gegeben hat«, sagte er. Er musste es tun, um ihretwillen ebenso wie um seinetwillen. Das Wissen um den Unfall in Liverpool und die Erinnerung an Arrol Dundas waren zu stark, um sie zu ignorieren. Niemand kannte den Grund für dieses Blutbad. Wenn er mehr über Landvermessung, Landkauf und die Bewegungen von Geld in Erfahrung bringen konnte, würde er die Verbindung vielleicht entdecken. »Ich werde Ihnen alles berichten, was ich weiß«, fuhr er fort. »Aber rechnen Sie frühestens in drei bis vier Tagen mit einer Antwort.«
Sie lächelte ihn an, Erleichterung breitete sich in ihrem Gesicht aus wie Sonnenlicht. »Vielen Dank«, sagte sie mit einer plötzlichen Freundlichkeit, einer Wärme, die ihn zu berühren schien. »Sie sind genau so, wie ich erhofft hatte. Von heute an in drei Tagen werde ich jeden Nachmittag hier sein und auf Ihre Nachricht warten.« Mit einer leichten Berührung seines Arms wandte sie sich ab und ging den Weg entlang an zwei älteren Damen vorbei, die sich unterhielten, nickte ihnen freundlich zu und verschwand durch das Tor, ohne sich noch einmal umzusehen.
Monk drehte sich auf dem Absatz um und ging wieder zur Straße zurück, aber es gelang ihm nicht, den Druck abzuschütteln, der auf ihm lastete. Es waren keine speziellen Bilder, nur ein Schatten, als hätte er etwas so lange aus seiner Erinnerung verbannt, dass die scharfen Umrisse inzwischen verschwommen waren, auch wenn es ihn stets begleitet hatte. Was war es, dem gegenüberzutreten er sich bislang geweigert hatte? Schuld. Er kannte dieses Gefühl des Versagens bereits, das durch Dun-das' Tod noch verstärkt worden war. Aber welchen Anteil hatte er an dem ersten Betrug gehabt? Sie hatten zusammen gearbeitet, Dundas als Mentor, Monk als Schüler. Monk hatte an Dundas' Unschuld geglaubt. Dessen war er sich ganz sicher. Bewunderung und Respekt waren immer noch vollkommen klar.
War er damals hoffnungslos naiv gewesen? Oder hatte er gar die Wahrheit gewusst und war aber nicht bereit gewesen, sie bei Dundas' Prozess offen auszusprechen oder sie zu beweisen,
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