Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Tod eines Fremden

Titel: Tod eines Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
Auch diese Eisenbahn hier war um einen Hügel herumgeleitet worden, der falsch vermessen worden war. Es wäre absolut möglich und obendrein noch billiger gewesen, ihn zu durchschneiden, zunächst mit einem Durchstich, später, falls notwendig, mit einem Tunnel.
    Falls notwendig?
    Etwas anderes zerrte an seiner Erinnerung, etwas über Gitternetzmarkierungen auf der Karte, aber er konnte es nicht enträtseln. Sobald er etwas zu fassen glaubte, entglitt es ihm, ohne ihn weiterzubringen.
    Er hörte den Zug, bevor dieser glänzend, stampfend und Dampf ausstoßend um die Kurve bog und dann mit einem Zischen und einem metallenen Klirren zum Stehen kam. Der Zugführer grinste. Der Heizer, der voller Rußflecken war, fuhr sich mit seiner kräftigen Hand über die Stirn und verteilte Kohlenstaub auf der Haut.
    Türen flogen krachend auf und wieder zu. Jemand plagte sich mit einer großen Kiste ab. Ein Gepäckträger lief vorbei.
    Monk stieg wieder in ein Abteil zweiter Klasse und setzte sich auf eine der harten Holzbänke. Ein paar Minuten später ertönte ein Pfiff, und der Zug fuhr mit einem Rucken an und nahm langsam Fahrt auf.
    Die Reise nach London schien ewig zu dauern. Unzählige Stationen, an denen er aussteigen, sich die Beine vertreten und wieder einsteigen konnte. Sie ratterten über die Gleise und wurden rhythmisch von einer Seite zur anderen geschaukelt. Er glitt in einen traumreichen Schlaf und wachte mit steifem Nacken und dem Gefühl auf, auf etwas Schreckliches zu warten. Er zwang sich, wach zu bleiben, und betrachtete mit weit aufgerissenen Augen die Landschaft, die an ihm vorbeiglitt.
    Hatte Katrina Recht, und Nolan Baltimore war hinter den Landbetrug gekommen, und Dalgarno hatte ihn umgebracht, um ihn zum Schweigen zu bringen? Aber der Beleg mit Monks Unterschrift war siebzehn Jahre alt, und der Betrug, der Arrol Dundas ruiniert hatte, war kurz danach geschehen, lange bevor Dalgarno überhaupt irgendeinen Posten bei der Firma hätte haben können. Damals hatte er kaum die Schule beendet.
    War der erste Betrug überhaupt zu Lasten von Baltimore und Söhne gegangen? Oder war Monks Verbindung mit ihnen reiner Zufall? Wenn Dundas' Bank den Bau von Eisenbahnlinien finanziert hatte, hatte er sicher mit vielen Gesellschaften zu tun gehabt.
    Aber das Muster war dasselbe! So schien es zumindest. Er konnte sich an die Kaninchen erinnern, die Umleitung auf die längere Trasse, die Protestierer, die Fragen, welches Land man nutzen sollte, und den Vorwurf der Preistreiberei.
    Übertrug er das alles aus der Vergangenheit und seiner bruchstückhaften Erinnerung in die Gegenwart, wo es nicht hingehörte?
    Nein. Katrina Harcus war zu ihm gekommen, weil sie mit angehört hatte, wie Dalgarno und Jarvis Baltimore über große und gefährliche Gewinne gesprochen hatten, die man verheimlichen musste, und weil sie Angst vor Betrug hatte. Das war eine Tatsache und hatte nichts mit wahren oder falschen Erinnerungen zu tun. Es war die Gegenwart. Ebenso wie der Mord an Nolan Baltimore, ob er etwas mit der Eisenbahn zu tun hatte oder nicht.
    Schließlich fuhr der Zug in die Euston Station ein, und Monk stieg aus und drängelte sich zwischen müden und ungeduldigen Reisenden den Bahnsteig entlang. Der riesige, von einem prächtigen Dach überwölbte Platz hinter dem Bahnsteig war voll mit Straßenhändlern, Menschen, die zu ihren Zügen eilten, Gepäckträgern mit Kartons und Koffern und Freunden und Verwandten, die Reisende abholen oder verabschieden wollten. Kutscher suchten nach ihren Herrschaften.
    Ein Zeitungsjunge rief die neuesten Schlagzeilen aus. Als er an ihm vorbeieilte, hörte Monk etwas über die Unionstruppen, die in Amerika Roanoke Island an der Grenze zu Kentucky erobert hatten. Die Gewalt und Tragödie des Krieges schienen weit weg; die sengende Hitze, der Staub und das Blut der Schlacht, in die er und Hester geraten waren, fanden jetzt in einer anderen Welt statt.
    Als er schließlich nach Hause kam, schlief Hester schon, halb auf seine Seite gerutscht, als habe sie nach ihm gegriffen und ihn nicht gefunden. Einen Arm hatte sie immer noch ausgestreckt.
    Er stand einen Augenblick still da und zögerte, ob er sie wecken sollte oder nicht. Die Tatsache, dass sie sich nicht regte, nicht mitbekommen hatte, dass er da war, zeigte, wie müde sie war. Es gab Zeiten, da hätte er sie einem Impuls folgend geweckt. Es hätte ihr nichts ausgemacht. Sie hätte gelächelt und sich ihm zugewandt.
    Jetzt widerstand er. Was sollte er

Weitere Kostenlose Bücher