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Tod Eines Kritikers

Tod Eines Kritikers

Titel: Tod Eines Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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gar keine Gedichte, also wozu noch etwas schreiben für nichts als die terrestrische Vernichtung. Er werde sich den Lebewesen zuwenden, die allein später auf diesem Planeten gedeihen werden: den Spinnen. Er wurde also Arachnologe, und hat inzwischen lesbare Bücher über Spinnen geschrieben. Ein paar Jahre lang auch Fernsehkritik. Durch Henkel kommt Ehrl-König überhaupt erst zum Fernsehen. Und: Er und seine Zwillingsschwester sind außer der Madame die einzigen lebenden Menschen, mit denen EhrlKönig per Du gewesen ist. RHH entwirft auch Wahlprogramme für die SPD. Er war und ist immer links. Aber von der Bibel her. Vom Neuen Testament her. Bei linken Politikern und Administratoren ist am meisten geschätzt sein Buch Jesus von Nazareth, Politiker . Trotz all dieser Interessen —, seine ausgiebigste Beschäftigung sei gewesen: Ehrl-König. Das legendäre Telephongespräch. Immer zwischen Mitternacht und drei Uhr morgens. Von Ehrl-König in Hunderten von Interviews bekannt gegeben, von RHH nie ein Widerspruch. „Meine Schlaue Eminenz”, so Ehrl-König über RHH, seit Jahren. Ehrl-König hat jede Abendgesellschaft um Mitternacht verlassen. Telephontermin, sagte er dann und verschwand. Man sei nicht sicher gewesen, ob eigentlich Ehrl-König der Mächtigste im Kulturland sei oder nicht doch RHH. Und dann die Sensation. Ehrl-König beklagt sich bei Hans Lach über RHH. Fünf Wochen vor der Schicksalsnacht. Auf einem PILGRIM Empfang. Das durfte Hans Lach für aufregend halten, für weitersagenswert. Und er sagte es weiter in den Tagen und Nächten nach dem PILGRIMEmpfang, der stattfand am 17. Dezember. Wie Ehrl-König da über RHH sprach, spricht man nicht über einen Freund. Beispiel: Wenn in RHH’s Gegenwart das Wort Prostata falle, verlasse der sofort den Raum. Oder: RHH’s Zwillingsschwester Ilse-Frauke von Ziethen, die nach einer Neunwochenehe mit dem Dermatologen von Ziethen wieder zurückgeschlüpft sei zu Bruder Rainer Heiner, die nenne ihren Bruder Mäuserich. Das aber nur, wenn von der Milliardenmenschheit niemand anwesend sei außer Ehrl-König. Und der sagt das wem weiter? Hans Lach. Oder: Die Rednerliste für den nächsten Geburtstag wird nicht mehr von RHH erdacht. Seine runden Geburtstage wurden ja immer fünfmal gefeiert. In Brüssel, in Bonn, in Berlin und, stellvertretend für das ehemalige Breslau, in Wien, und im Fernsehen. Ehrl-König sagte immer, er füge sich dem ihm Angedichteten. Vier Städte stritten sich darum, seine Geburtsstadt zu sein. Und das ließ er gern zu. Seine Mutter sei, als sie mit ihm schwanger war, viel unterwegs gewesen. Als wer oder als was unterwegs, das weiß niemand genau. Auf jeden Fall mit Gesang. Ob mit Schlager oder Arie, darüber darf getratscht werden. In diesen anregenden Gerüchteturbulenzen spürte jeder das RHH-Dirigat. Und diesen Spiritus Rector verrät der Meister wenige Wochen vor seiner Ermordung an einen Einzigen: Hans Lach. Und dann die Niedermachung dieses auserwählt einzigen in der Januar SPRECHSTUNDE . Und dann die Ermordung des Kritikers, über den die Frankfurter Allgemeine regelmäßig bekanntgab, es sei in der ganzen deutschen Geistesgeschichte noch keiner mächtiger ist gleich einflußreicher gewesen als er. Wie sehr daran RHH beteiligt war, ahnen wir mehr, als wir’s wissen. RHH, der religiös erregte Sozialist, der Fünfbändelyriker, der farbenblinde Kunsthistoriker und ehemalige Fernsehkritiker – das war übrigens die RHH-Periode, in der er ungeschützt sehen ließ, daß auch er Macht wollte, Fernsehen, das Modemedium schlechthin, RHH als Fernseh-Lessing –, RHH der Immernoch-Arachnologe – das übrigens dürfe vielleicht doch als Ausdruck einer unerbittlichen Verbitterung gewertet werden –, RHH, der Mann hinter Ehrl-König. Und der verrät ihn intimst an Hans Lach, den er in der Januar SPRECHSTUNDE böse traktieren wird. Aber das weiß Hans Lach noch nicht. Das weiß, behaupte ich, auch Ehrl-König am 17. Dezember noch nicht. Sein Instinkt weiß es. Er noch nicht. Er zieht einen radikal ins Vertrauen, den er gleich radikal vernichten wird. Kann man Macht deutlicher genießen! Aber Hans Lach, dem solche für sich selbst sorgenden Instinkte fremd sind, war nach dem Dezembergespräch nichts als aufgeregt. Schön aufgeregt, bitte, ganz und gar positiv aufgeregt. Schließlich mußte Ehrl-König, als er sich Hans Lach gegenüber so öffnete, die Mädchen ohne Zehennägel schon gelesen haben. Das Buch war schon ein paar Wochen auf dem Markt.

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