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Tod Eines Kritikers

Tod Eines Kritikers

Titel: Tod Eines Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Henkel gesagt worden war. Er glaubte, auch EhrlKönig wolle, daß, was er Lach anvertraut habe, zirkuliere.
    Wenn Sie wissen, welche Rolle Henkel in Ehrl-Königs Urteilswesen zugesprochen wird, verstehen Sie Hans Lachs Bedürfnis, das Reling-Gespräch weiterwirken zu lassen. Hans Lach hat es offenbar für möglich gehalten, daß er eine Art RHH-Nachfolge antreten könne. Und noch kühner, seine Vermutung: die Verurteilungen, die Verrisse, die er, Hans Lach, im Lauf der Jahre habe hinnehmen müssen, seien mehr dem direkten Souffleur RHH zuzuschreiben als dem eigentlich doch viel runderen, gemütreicheren Ehrl-König. Mit welcher Schärfe Ehrl-König zu Hans Lach an der Reling über RHH sprechen konnte, sei durch eine von Ehrl-König mit sarkastischem Behagen vermittelte Miniatur deutlich geworden. Ehrl-König und RHH im vergangenen Sommer auf einem Spaziergang rund um RHH’s Baldsburg. Ehrl-König habe seinen Schirm mitgenommen und den, weil das Wetter noch schön gewesen sei, als Spazierstock benützt. RHH sieht das und sagt im Gehen, ohne herüberzuschauen: Hast du Schwierigkeiten beim Gehen. In diesem Sätzchen sei soviel Gier, soviel böse Hoffnung, soviel arges Keuchen zum Ausdruck gekommen, daß Ehrl-König erschrocken sei. So sehr hat sich Ehrl-König bei diesem Gespräch auf höchster PILGRIM Ebene aufgetan. Wie aber nach dieser Vorgeschichte die Vernichtung auf Hans Lach gewirkt haben muß, können Sie jetzt zu ahnen versuchen. Mir hat Hans Lach gesagt, der bleibende Eindruck des Gesprächs an der Reling sei bei ihm: Geschmeidigkeit. Beide, Hans Lach und Ehrl-König seien eins gewesen in Geschmeidigkeit, so daß er, Hans Lach, jetzt zu sagen versucht sei: Geschmeidigkeit sei bei ihnen beiden das alles andere Dominierende. Existenz-Geschmeidigkeit, hat er es sogar, schwärmerisch wie er ist, genannt. Und dann die Abkanzelung in der SPRECHSTUNDE . Inzwischen werde ja geraunt, wie es dazu nach dieser Vorgeschichte habe kommen können! Ihm, Silberfuchs, überhaupt kein Rätsel. Wenn es nicht Machtinstinkt war, dann eine Kalkulation. Nichts war Ehrl-König so wichtig wie der Glanz seiner Unbestechlichkeit, seiner Unabhängigkeit. Es lassen sich in seiner Geschichte immer wieder solche inszenierten Kraßheiten nachweisen. Und das kann so eine Inszenierung gewesen sein: Seht alle her, wie lieb vertraulich, menschlich nah ich hier mit Hans Lach plaudere, erinnert euch gefälligst daran, wenn ich ihn im Januar vernichte, ich bin nämlich unbestechlich, wie es noch niemand war. Und, sagte der Professor, selbst meine immer noch dürftige Menschenkenntnis sagt mir: Wer so seine Unbestechlichkeit demonstriert, der muß unter seiner Korrumpierbarkeit zu leiden haben. Darüber könnte inzwischen wirklich nur noch RHH Auskunft geben. Fragen Sie ihn danach. Und sagen Sie’s mir weiter. Das Menschenmögliche muß man in der Gegenwart erfahren. Wer nicht geradezu gierig ist, das Menschenmögliche zu seiner Zeit zu ergründen, der bleibt in der Geschichte – um es henkelsch zu fassen – ein farbenblinder Kunsthistoriker.
    Bleiben wir bei RHH, dem Autor – um es im Superlativstil des ermordeten Meisters zu sagen – der fünf erfolglosesten Lyrikbücher der Literaturgeschichte, den wir auch den Erfinder EhrlKönigs nennen können. Er hätte seine Ehrl-König-Erfindung beim Deutschen Patentamt drüben anmelden können.
    Als Ehrl-König vor drei Jahrzehnten als ein Monsieur Nichts aus Lothringen in unser Land wechselte, weil ihm der Sprung nach Paris schwieriger vorkam als der nach Frankfurt-HamburgMünchen, da traf er auf Rainer Heiner Henkel. Heute ist das längst Legende. Und wie alles, was mit Ehrl-König zu tun hat, widerspruchsreich bestückt, also ein Strauß von Gerüchten; die aber wirken nicht beliebig zusammengestückelt, sondern sind arrangiert von einer genialen Floristin: Ilse-Frauke von Ziethen, geborene Henkel, die Sie heute kennen lernen werden. Henkels Zwillingsschwester, die nach der Dermatologenehe den Gatten so wenig geschont hat, öffentlich, daß Herr von Ziethen die Auswanderung vorzog.
    Heute hat er einen Pharmabetrieb für Anti-Allergika in Columbus/Ohio. Und Ilse-Frauke und Rainer Heiner sind wieder in inzestuöser Josefs-Ehe vereint. So genannt von Ehrl-König persönlich. Als man auseinander war, wurde er deutlich. Da beide Henkels dem Sexuellen abgeneigt seien, müsse das so gesagt werden. Aber als Ehrl-König in der Tatnacht kurz nach Mitternacht aufbrach, sagte er schmerzbewegt, er gehe jetzt,

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