Tod Eines Kritikers
obwohl kein Telephongespräch mehr mit dem alten Freund stattfinden werde. Im Rundumgespräch nachher waren viele der Ansicht, Ehrl-Königs SPRECHSTUNDEN Eröffnung mit dem Jahr 2030, mit der Entlarvung der Mädchen ohne Zehennägel als einer drittklassigen Lach-Fälschung, stamme noch aus RHH’s Küche. Etwas sorgfältig Vernichtendes, das nicht ausschließlich von einem Superlativ der Hemmungslosigkeit lebte, das sei nicht Ehrl-König, sondern reiner RHH.
Eine Vernichtung sorgfältig vorzubereiten, das war wahrscheinlich immer RHH’s Geschäft gewesen. Dazu gehörte sicher auch Ehrl-Königs Superlativstilistik. Ein so guter Autor, und wieder ein so schlechtes Buch! Warten wir weiter! Er mußte ja die Autoren, auf die er einschlagen wollte, sozusagen am Leben lassen, am literarischen, um später wieder auf sie einschlagen zu können. RHH habe sicher einen nicht zu überschätzenden Anteil gehabt an allen Vernichtungsgesten, die dann in der SPRECHSTUNDE exekutiert wurden. Wahrscheinlich hat er, der durch eine Art Erfolglosigkeitsschicksal zu einem zermürbenden Ansichhalten verurteilt ist, Ehrl-Königs Anlage zur Hemmungslosigkeit entdeckt und sie dann ausgebildet. Ohne RHH´s bittere Kompetenz hätte Ehrl-König sich nicht so schnell zum Drauflosvirtuosen entwickelt. RHH hat, könnte man sagen, Ehrl-König so weit gebracht, daß dann ein besonders unglückselig Schwacher nicht mehr anders konnte, als diesen göttlich um sich schlagenden Machthaber zu töten. Daß dieser besonders Schwache Hans Lach gewesen sein muß, will ich kein bißchen vermuten, sagte Silbenfuchs, aber ausschließen kann ich es so wenig, wie ich es vermuten kann. Zum Besuch der inzestuösen Josefszwillinge wünsche er mir viel Vergnügen. Ich dankte heftig. Mir war danach. Wie naiv wäre ich, ohne diese Einweihung ins konkret Wirkliche, dem Henkelpaar ausgesetzt gewesen. Jetzt Juli Pelz. Zuerst noch einen Marc de Champagne, ans Fenster gehen und in den noch immer währenden Schnee hinausschauen. Märchen, dein Name ist Schnee, dachte ich und fühlte kindheitlich.
Aber Julia die Große mußte sein. Erstens sehnte ich mich nach dieser andauernd zwischen zwei Tonlagen hin- und herschwankenden Stimme, nach diesem Männersound im Frauenton, zweitens spürte ich ein radikales Vertrauen zu ihr, eins, das nicht nach Begründung verlangte, ein bodenloses also. Sie kannte doch alle, also mußte sie RHH auch kennen. Und ob, sagte sie. Eine Woche vor der Nacht der Handlung sei er bei ihr im Saturnischen Salon gesessen. Und zwar ohne seine Schwester. Damit das nicht als sensationell verbucht werde, entschuldigte er Ilse-Fraukes Abwesenheit mit einer Blasenentzündung. Sie, Julia, habe das für einen beeindruckenden Vorwand gehalten. Sie sei sofort sicher gewesen, daß er mit ihr allein sprechen wollte – und der Verlauf des Gesprächs habe das nachher bewiesen –, aber auf eine Blasenentzündung als Vorwand komme eben nicht jeder. Ein Rainer Heiner Henkel schon. Und bei dieser Schwester sowieso. Und dann bezieht sich dieses Initialgebläse gleich ganz frech darauf, daß jetzt zwei von der Welt mißhandelte Lyriker einander gegenübersäßen. Sie, Julia, habe sofort gesagt, sie sei niemals mißhandelt worden. Er gibt darauf unumwunden zu, daß er auch hier sei, um einen Verlag zu finden für sein Gesamtes, für alles. Aber das könne wirklich den Schluß bilden unseres Plauschs. Er komme natürlich wegen Ehrl-König. Er wisse, daß ich Opposition sei. Ehrl-König wisse das auch und arbeite an meinem Sturz und schaffe den auch. Bisher sei noch niemand, den er stürzen wollte, ungestürzt geblieben. Das zu melden sei er, RHH, überhaupt hier. Und um jetzt ganz offen zu sein: Ehrl-König habe ihm, RHH, vor dem Bruch aufgetragen gehabt, ihr zu melden, daß er an meinem Sturz, das heiße an meiner Trennung von Ludwig Pilgrim arbeite. Das ist seine Art, sagte RHH, er intrigiert nicht, er geht geradewegs zu auf das Ziel. Ehrl-König wisse, daß ich es sei, die das Ehrl-König-Archiv im PILGRIM Verlag verhindert habe, die Sponsoren geschart habe, daß siebzehntausend Zettel Ehrl-KönigNotizen als Nachlaß bei Lebzeiten vom Literatur-Archiv in Marbach erworben werden konnten. An den zwei Millionen, die er kassierte, lag ihm erst in zweiter Linie. Marbach ist für relative Unsterblichkeit eine gute Adresse, aber er, Ehrl-König, wäre eben lieber in München unsterblich geworden als in Marbach. Er war sicher, wäre das Ehrl-König-Archiv im PILGRIM Verlag erst
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