Tod Eines Kritikers
Ehrl-König mußte schon wissen, daß er das Buch in der SPRECHSTUNDE behandeln werde. Und hat sich auf diesem Empfang ausschließlich mit dem Autor dieses Buches unterhalten. Auf der obersten Plattform sitzend, an der Reling . Wer immer sich habe nähern wollen, sei weggescheucht worden, von Ehrl-König, der seinem Gesprächspartner nichts melden wollte als das jähe Ende der Freundschaft mit RHH. Die Gründe, beziehungsweise den Grund, kennen Sie ja. Ich mußte gestehen, daß ich ihn nicht kenne.
Fabelhaft, rief er Professor, in ihre Vergangenheitslabyrinthe dringt kein Gegenwartslicht. Ende August plötzlich ein Artikel in irgendeiner Illustrierten, daß Ehrl-König seine Schuhe in Antwerpen machen lasse, Spezialanfertigung für ihn, innen so verarbeitet, daß er zweieinhalb Zentimeter größer ist, als er ist, und von außen merkt man’s nicht. Das war im MedienSommerloch da und dort eine hämische Zeile wert. Ehrl-König ließ nachforschen. Die Quelle dieser Nachricht: Henkels Bruder Pirmin, ein Masseur, notdürftig im Ruhestand, Alkoholiker. Er hat die unangenehme Nachricht einem Journalisten verkauft. Aber er muß, was er verkaufte, von seinem Bruder haben. Ehrl-König verlangte von Henkel, daß der sich öffentlich von dieser Falschmeldung und von seinem Bruder distanziere. Henkel weigerte sich. Das war der Bruch. Henkel gab sich eigensinnig und ließ wissen, da es sich nicht um eine Falschmeldung handle, könne er sich nur für die Indiskretion entschuldigen, aber nicht für den Inhalt. Ehrl-König war entsetzt. Sein einziger Freund. Wenn der Anlaß nicht so lächerlich wäre, könnte man sagen: tragisch. Und kurz nach dieser Groteske offenbart Ehrl-König Schmerz und Enttäuschung ausgerechnet dem Autor, den er öfter schlecht als recht behandelt hat.
Hans Lach rief danach nicht nur mich an, seinen Silbenfuchs, sondern, wie sich von selbst herumsprach, mindestens zehn andere aus dem Kulturbetrieb, und jedem posaunte er seine glückliche Erregung hin: eine neue Epoche, Ehrl-König ist ganz anders, als viele geglaubt und verbreitet haben, und er, Hans Lach, nehme sich da überhaupt nicht aus! Ehrl-König könne eine Gesprächszärtlichkeit entfalten, eine Nähesprache, nie hätte man diesem Literatür ma kelnden Machtmenschen zugetraut, daß er überhaupt so flüstern, so einen Tuchfühlungston riskieren könnte. Noch nie habe mit ihm, Hans Lach, jemand so geschmeidig gesprochen. Ja, so müsse er Ehrl-Königs Präsenz bei dem PILGRIM Empfang nennen, geschmeidig. Sie seien an der Reling gesessen, also auf der obersten Plattform, weshalb das Wegscheuchen von Zudringlichen auch besonders leicht gewesen sei, und – das sei ihm, Hans Lach in jeder Sekunde dieses Vertraulichkeitsdialogs bewußt gewesen – alle, die auf den unteren Niveaus ihr Glas in der Hand hielten und Anwesenheit markierten, alle sahen natürlich immer wieder herauf und wunderten sich: wie lange redet Ehrl-König jetzt schon Stirn an Stirn mit Hans Lach, was ist denn da passiert. Ehrl-König habe nach dem Gespräch den Aufzug heraufbefohlen, habe sich von den immer theatralisch sich öffnenden und pathetisch sich schließenden Aufzugstüren schlucken und hinabführen lassen in die Auto-Unterwelt. Hans Lach sei von Niveau zu Niveau hinabgestiegen in die Polster-Wanne und habe die zudringliche Neugier der auf ihn Einstürmenden mit Verwunderung beantwortet. Was sie denn wollten! Er habe immer schon eine Beziehung zu Ehrl-König gehabt, die nicht auf eine Meinung reduziert werden könne. Überhaupt sei das, was aus seinem Verhältnis zu Ehrl-König eine Beziehung mache, am wenigsten im Meinungsmäßigen zu suchen, er glaube, es handle sich um eine Gemeinsamkeit durch Fülle, um eine Bevorzugung des Lebendigen, sogar dem Geistigen gegenüber. Und als man ihn fragte, was denn heute zwischen ihnen das Thema gewesen sei, ob sich Ehrl-König gegen jede Gewohnheit etwa schon über die Mädchen ohne Zehennägel geäußert habe, tat Hans Lach das ab. Das gehörte doch gar nicht dazu. Von Büchern sei nicht die Rede gewesen. Überhaupt nicht von Details. Ja, bitte, aber von was dann? Soweit Details beziehungsweise Personen vorgekommen seien, fühle er sich, obwohl es nichts gegeben habe, was man eine Abmachung nennen müßte, zu vollkommener Diskretion verpflichtet. Ihm, seinem Silbenfuchs gegenüber, habe er dann Einzelheiten sehr wohl genannt. Ich glaube sogar, rief Silbenfuchs, er wollte, daß auch ich es weitersage. Alles nämlich, was ihm über
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