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Tod Eines Kritikers

Tod Eines Kritikers

Titel: Tod Eines Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Dank, habe sie gesagt. Und er, gewissermaßen stolz: Keine Ursache, gnädige Frau. Er sei sicher, daß sie, sobald Ehrl-König sich an ihr rächen werde, ohnehin auf ihn, RHH, zukommen werde. Diesem Tag sehe er gelassen entgegen. Und ging. Ihr sei es indes durch den Gang der Dinge erspart geblieben, RHH gegen Ehrl-König in Anspruch zu nehmen.
    Julia die Große schnaufte auf. Dieser RHH und sein Ehrl-König seien nichts als Komplizen bei einem Verbrechen, von dem sie nicht einmal eine Ahnung hätten: die Auflösung des Wesens der Show. Die Show mache ja vor nichts mehr Halt. Religion, Politik, Kultur. Aber gut, so bereite sich der Erzsturz vor, Saturn kichere drunten im Dreck. Sein Auftritt knistere schon in aller Erscheinung.
    Ich bedankte mich. Falls ich Sehnsucht nach Splendor solis habe, sei ich jederzeit willkommen.
Ich sprach es aus wie eine Floskel, meinte es aber ernst, als ich sagte, seit ich in ihrem Sternzimmer gewesen sei, gebe es für mich in München keinen Ort mehr, der mir gegenwärtiger sei.
Gut, rief sie.
Rechnen Sie mit mir, sagte ich.
Sie stieß einen Laut aus, der ihre beiden Stimmlagen vereinte. Saturnlaut, dachte ich. Und dachte noch: Wenn Engel grunzten, dann so. Ein durch und durch gehender Laut. Was für eine Frau!
Und wie weit weg. Unerreichbar eben.
Es läutete.
    Ich holte die beiden an der Gartentüre ab. Meine Frau hatte, weil sie heute keine Sprechstunde abhielt, einen Teetisch vorbereitet.
    Ich hatte sie gebeten, nicht in Erscheinung zu treten. Mein Gefühl: keine Ablenkung, Henkel pur. Der erste Eindruck: Wer ist er und wer sie?
    Als sie aus ihren völlig gleichen, sich zu Bayern bekennenden Mänteln geschlüpft waren, war diese Frage noch unbeanwortbarer. Genau gleich groß, einsachtzig, gleich braungebrannt, die Baldsburg – heißt es – liegt auf achthundert Meter Höhe, beide im vollkommen gleichen Anzug, allerdings eine anspruchsvolle Gleichheit: braunes Samt, unauffällig beige gesprenkelt, darunter beide im Rollkragenpullover, da, Gott sei Dank, ein Unterschied: ein Pulli in Schwarz, einer in Hellbeige. Ich entschied mich, in Hellbeige Ilse-Frauke von Ziethen zu vermuten. Die Stimmen bestätigten das. Er fast ein Bass, sie eine reine Mädchenstimme. Mädchenstimme stimmt nicht. Eine überraschend hohe Stimme. Nicht quieksend. Aber scharf schon. Bass für ihn, stimmt auch nicht. Tief schon, aber so brüchig, daß immer wieder hohe, wie durch Reibung entstehende Fieptöne vorkommen. Dunkel krächzend, könnte man sagen. Die Führung des Gesprächs lag eindeutig bei ihm. Sie sagte wenig, wirkte aber beaufsichtigend, kontrollierend, auch schützend. Sie schaute und hörte zu, als sei alles, was er sage, mit ihr abgesprochen, und sie müsse prüfen, ob er jetzt alles so bringe, wie sie es abgesprochen, vielleicht sogar eingeübt hatten. Er sah ja auch immer immer wieder zu ihr hin, ihre Zustimmung durch Gesten und Pausen erbittend, die gab sie. Fast immer. Je länger sie da waren, desto lieber mochte ich sie. Ein wunderbares Paar. Ich fühlte mich bezaubert. Die kassierten mich. Ihre Zusammenarbeit bei diesem Kassieren war virtuos. Er setzte seine langen schmalen Hände ein. Die konnten an den Gelenken rechtwinklig weggebogen werden. Sie benutzte zum Betonen nur den Zeigefinger ihrer rechten Hand. Ihre linke Hand lag reglos auf ihrer linken Bügelfalte. Obwohl seine Stimme klang wie die eines Wahlredners nach monatelangem Wahlkampf, mußte man nie fürchten, sie könne ganz versagen. Alles an ihm und von ihm drückte eine unbändige Willenskraft aus. Er bestand aus nichts als Entschlossenheit, Eifer, Sicherheit, eben aus Kraft. Gerade weil er physisch überhaupt nicht stark wirkte, erlebte man das aus Kehle und Seele Sprühende um so mehr als Demonstration der reinen Geisteskraft. Aber am meisten beeindruckte mich die in jeder Sekunde manifestierte Abhängigkeit von ihr, von ihrer Zustimmung. Ich hatte noch nie zwei Menschen erlebt, die so zärtlich zusammengehörten wie diese zwei. Und das wirkte als reine Schönheit. Ich hätte am liebsten in die Hände geklatscht vor Zustimmung.
    Er sagte, er sei wie ich Historiker, also daran interessiert, daß letzten Endes keine Falschmeldungen das Feld beherrschten. Was ich in meinem Ehrl-König-Buch aus seinem Beitrag machte, sei meine Sache. Sein Vertrauen zu mir gründe in seiner Achtung vor meiner wissenschaftlichen Leistung, wenn auch meine Themenfelder unter einer anderen Sonne lägen als seine. Er sei durch und durch der Aufklärung

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