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Tod Eines Kritikers

Tod Eines Kritikers

Titel: Tod Eines Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Andererseits diese Stimmen, die ihm sagen, was er zu tun hat. Und die Angst, vergiftet zu werden. Und die Fluchttendenz. Noch weigert er sich, Medikamente zu nehmen. Es sei aber möglich, einen gerichtlichen Beschluß zu erwirken, der dann erlaube, die Medikamente zwangsweise zu applizieren. Das natürlich nur, wenn beweisbar ist, daß er durch Medikamentenverweigerung hinausschieben will, für verhandlungsfähig erklärt zu werden. Er habe sich mit einem zwanzig Jahre Jüngeren mehr als angefreundet. Mani heißt der. Versuchte Vergewaltigung mit Körperverletzung. Seit zwei Jahren hier. Inzwischen auf Stufe sieben angelangt. Bei acht kann er entlassen werden. Wenn wir ihm bescheinigen, daß von ihm nichts mehr zu befürchten ist, kommt es zu keiner Verhandlung. Lach hält Mani für einen Dichter, redet nur noch vom großen Dichter Mani. Er will, wenn er je wieder schreibt, ein Buch über Mani schreiben. Mani selber hat noch nichts geschrieben, das heißt, er hat, sagt er, tausend Gedichte geschrieben, aber die habe er, weil sie, wie er sagt, sauschlecht gewesen seien, verbrannt. Erstaunlich sei diese Beziehung, weil Hans Lach sich selber eigentlich vergesse, Manis wegen. Er, Dr. Swoboda, sei nicht berechtigt, mir die Kranken- und Deliktgeschichte dieses Mani mitzuteilen. Von KHK Wedekind wisse er, daß Hans Lach in der Ettstraße und in Stadelheim sich ebenso vehement auf einen Mithäftling gestürzt habe, um dem beizubringen, wie man Verhöre scheitern lassen könne. Dieses verzehrende Interesse für andere. Dann die Weigerung, sich nachts auszuziehen und sich ins Bett zu legen, in diesem Bett bekomme er keine Luft, also schläft er, seit er hier ist, auf dem Boden. Die Weigerung, irgend etwas aus unserer Küche zu essen. Wenn Frau Pelz-Pilgrim ihn nicht mit Nahrung versorgen würde, müßten wir ihm die Zwangsernährung antun. Von dem von Frau Pelz-Pilgrim gestellten und immer neu gefüllten Lederrucksäckchen trennt er sich keine Sekunde, auch nicht, wenn er zur Toilette geht. Und dann die Hilferufe. Tag und Nacht telephoniert er in der Welt herum nach anderen Ärzten, besseren Behandlungen, kurzum, die Psychose blüht und blüht und klingt nicht ab. Er leidet und weigert sich, sich helfen zu lassen.
    Dann wurde Hans Lach von dem zwerghaft kleinen, aber bärenstark wirkenden Pfleger hereingebracht. Dr. Swoboda setzte sich an seinen Schreibtisch, Hans Lach hob beide Hände, ließ die eine Hand die andere fassen, das hieß: Begrüßung ohne Berührung. Schlimm sah er aus. Unrasiert. Das paßte nicht zu ihm. Das wuchtig ausschwingende Kinn, die mächtige Mundpartie, die das Gesicht beherrschende Nase, alles Starke und auch Schöne war durch den rötlichen Stoppelbart verdorben. Und die Augen, die andauernd grimassierenden Lider und Brauen. Hoch in die Stirn gezerrte Brauen. Der immer halboffene Mund zuckte, wie es um die Augen herum zuckte. Die Hände fuhren auseinander. Beide Zeigefinger stachen nach oben. Der Kopf drehte sich. Die ganze Gestik konnte nur heißen: Jetzt hören Sie doch! Hören Sie’s?
    Er hatte sich seines zierlichen Rucksacks wegen nur auf das vordere Drittel der Sesselsitzfläche gesetzt.
    Sie hören’s also nicht, sagte er. Und zu Dr. Swoboda zurück: Und Sie auch nicht! Nichts als konsequent, meine Herrn. Wenn die Stimmen nur mir hörbar sind, können Sie behaupten, ich bildete mir die Stimmen ein, sei also wahnsinnig oder sonstwas. So simpel geht das zu hier, lieber Michel. Und Sie machen gleich mit bei diesem Verstellungstheater. Das ist die wahre Ironie. Gratuliere! Kennen Sie das Buch von M. Rufer. Schizophren werde man, wenn die anderen einem anders begegneten, als sie dächten. Insgeheim redet man über einen wie über einen Wahnsinnigen, ins Gesicht hinein tut man so, als hielte man einen für normal. Da unsereins beides wahrnimmt, ist eine Verwirrung die Folge, eine nichts verschonende Desorientierung.
    Ich wußte überhaupt nicht, wie ich mich verhalten, was ich sagen sollte. Hans Lach sagte dann plötzlich Sätze, die aus einem Gespräch zu stammen schienen, von dem wir nichts wußten, an dem er aber in diesem Augenblick teilnahm. Und was immer er sagte, er sagte es zu laut. Er hatte offenbar überhaupt kein Gefühl für die Größe des Raums, in dem er sprach. Er sprach nicht, er rief. Er fühlte sich oder uns offenbar weit weg. Nein, Herr Dr. Weißkopf, sagte er, morgen noch nicht, aber übermorgen sicher, wenn ich noch lebe. Es gibt Arschlöcher hier, die wollen mich so lange an

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