Tod Eines Kritikers
Leder den Hitlerton in der Drohung Ab heute Null Uhr wird zurückgeschlagen einfach übersehen?! So ging es weiter. Erst jetzt hatten die Medien ihr Saisonthema gefunden. Da ich nicht im Stande war, mir Hans Lach als Täter vorzustellen, tat mir die Wucht dieser Verurteilungseinhelligkeit weh. Daß er inzwischen als psychotischer Psychiatriepatient in der forensischen Abteilung in Haar untergebracht war, wurde nicht so einmütig kommentiert wie seine Tat. Es gab sogar Töne des Bedauerns. Die Tat, die er als schuldfähiger, zurechnungsfähiger Zeitgenosse getan hatte, hielt er nachher nicht aus. Er brach zusammen. Der Wunsch, Verbrecher zu sein wurde das am meisten zitierte Buch des späteren Winters. Manche gingen so weit zu bemerken, daß man, wenn man dieses Buch rechtzeitig gelesen hätte, diesen Autor nie mehr hätte mit Ehrl-König in Kontakt kommen lassen dürfen. Vorwurf an das Haus PILGRIM . Am weitesten gingen die, die feststellten, dieses Buch zeige einen so abseitig verirrten und verwirrten Autor, daß der Paragraph für verminderte Zurechnungsfähigkeit durchaus in Frage komme. Ich schrieb die Tonbänder I bis IV ab.
Tonband I (besprochen von Hans Lach )
Wie eng und klein das Land ist, merkst du erst, wenn die Schläge, die morgens gegen dich geführt werden, mittags schon bei dir eingetroffen sind. Ein Ausweichen innerhalb des Landes ist nicht möglich. Also fort. Nach Südspanien. In die äußerste Ecke. Da sich bergen. Am Saum Afrikas. Es muß da eine Stelle geben. Aber wie sie erreichen? 8,1 Prozent mehr Umsatz, 0,1 Prozent weniger Personal, letzte Nachricht von Ludwig Pilgrim. Von Los Angeles kann ich nichts berichten. Das nährt das Gefühl, nicht in Frage zu kommen. Und konzentriere mich also auf hier und Haar. Ein Schauspieler, natürlich kein berühmter, hat mir einmal nachts beim Trinken gesagt: Ein Schauspieler mit Auto ist ein Heuchler. Ich habe nicht gewagt zu fragen, ob er eins habe. Der KHK hat mir den Weg gewiesen: Je mehr ich von Ihnen weiß, desto mehr begreife ich, warum Sie zum Täter geworden sind. Das einzige, was ich nicht begreife: Warum nicht schon viel früher.
Bevor ich mich in mir verliere, zu Mani Mani. Der Kerl ist noch nicht vierzig oder gerade vierzig oder ein fünfzigjähriges Kind, unerwachsen bis zum Tod, wie jedes Genie, wie jeder Mensch, denn jeder Mensch ist ein Genie, außer denen, die das bestreiten. Entonces, Miguel: Mani Mani nennt er sich, nennen ihn alle, so heißt er, das ist er. Und hat sich hier mir sofort genähert. Praktisch auf mich gestürzt. Dr. Swoboda hat uns protegiert, ich durfte mein Tonband mitlaufen lassen. Als Mani Mani mir seine Zuneigung hinrotzte, hatte ich natürlich keinen Recorder dabei. Ich sei zwar nicht eines seiner Vorbilder, aber er habe sich immer gefragt, warum ich eigentlich nicht eines seiner Vorbilder sei. Als seine Vorbilder nennt er Bernt Streiff (bitte, das dem melden, tut ihm gut), Rolf Hochhuth und Else Lasker-Schüler. Was für eine Mischung! Aber echt Mani Mani.
Daß Frau Ehrl-König Nancy heißt, obwohl sie dort geboren ist und jeder glaubt, er müsse diesen Namen englisch aussprechen, ist eine echte Ehrl-König-Prozedur. Sie wissen, wer mit Nancy wirklich sprechen will, muß Französisch sprechen. Ein Historiker habe ihr einmal gesagt, daß jemand gesagt habe, Deutsch sei eine Sprache für Pferde. Daß sie ihre schwarzen Zähne nur von erstklassigen kubanischen Zigarren hat, kann einen mit manchem versöhnen. Zu meinem Alibi komme ich später. Zu Gunsten von Ehrl-König muß man sagen: Sein Mund war geschaffen nur für Urteile, also durfte man nicht auch noch Begründungen verlangen. Man erlebte ihn andauernd hingerissen von sich selber. Er konnte gar alles, nur eins nicht: sich selber schaden. Das mußte ein anderer tun. Ich. Andererseits: es paßt nicht zu ihm, umgebracht worden zu sein. Wenn es doch passiert sein sollte, dann als fürchterlicher Zufall. Mich überkommt nachts manchmal das Gefühl, er sei nicht umgebracht worden. Am Tag kann ich dieses Gefühl nicht durchsetzen in mir. Sie glauben an meine Unschuld. Ich auch. Auch wenn ich es getan haben sollte, wäre ich unschuldig. Es muß auch unschuldige Mörder geben. Er hat einmal, als Pilgrim ihm sagte, im Herbst werde ein Buch von mir erscheinen, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, gesagt: Impotenter Dreck. Bewundernswert, diese Fähigkeit, sofort das einzig Richtige und das ganz und gar Ehrl-Königgemäße zu sagen, eben das, was Pilgrim dann
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