Tod Eines Kritikers
allem hindern, bis ich in ihre Blumentöpfe passe.
Jetzt erst fiel mir auf, wie braungebrannt, wie wohl Dr. Swoboda aussah und wie elend Hans Lach. Eigentlich sah er gefoltert aus. Plötzlich fing sein beträchtlicher Unterkiefer an zu zittern, zu mahlen, zu beben. Und gleich wieder völlig ruhig. Diskynesie, Akinesie, sagte er. Von den Neuroleptika, die mir hier eingeflößt werden wie Hamlets Vater das Gift, nämlich im Schlaf. Leponex, Michel, von dem jeder weiß, daß es so ganz nebenbei Parkinson produziert. Dr. Swoboda rief: Eben nicht! Er bringt wieder alles durcheinander. Er könne schon nicht mehr die Zähne putzen, rief Hans Lach, ohne daß seine Zunge sich gegen ihn wende. Und wenn er nicht noch heute Akineton bekomme, müsse er sich umbringen. Serotonin soll ich schlucken, rief er, die reine Boutiquenmedizin. Dr. Swoboda rief jetzt: Moment, Herr Lach, Akineton ist ein Mittel gegen Nebenwirkungen bei der Einnahme von Meresa, Haldol und anderen Neuroleptika. Sie weigern sich, Neuroleptika einzunehmen, die Ihnen helfen würden, und Akineton ohne vorherige Neuroleptikagabe produziert Psychosen.
Plötzlich holte Hans Lach dann den Rucksack auf seine Knie, kramte, brachte ein wattiertes Kuvert heraus, das gab er mir.
Da Michel, sagte er, falls Sie zurückfinden auf meine Seite.
Ich wollte etwas sagen, aber das ließ er nicht zu. Don’t talk to a tortured, sagte er. Er fliege weg, sobald seine Unschuld erwiesen sei. Den Widerruf seines Geständnisses habe er mir auf Band gesprochen, und einiges mehr. Am wichtigsten sei ihm der Mani-Text. Den brauche er, sobald er hier rauskomme. Dann nach Israel, zu Dr. Weißkopf, und von dort nach Australien, Melbourne. Ich werde mich Ihren Vorschlägen fügen, sagte Dr. Swoboda, sagen wir zweiundsiebzig Stunden lang werde ich jetzt mit Ihnen umgehen, als seien Sie momentan ein kleines bißchen psychotisch dekompensiert, mehr nicht. Mal sehen, ob Sie sich dann wohler fühlen bei uns.
Bravo, Doktor, rief Hans Lach und stand auf. Pfiff durch die Finger, der Pfleger trabte herein. Servus, Michel, jetzt hängt also alles von Ihnen ab. Geben Sie von den Tonband-Abschriften Kopien an Julia Pelz-Pilgrim weiter. Ludwig geht es sehr schlecht.
Ich weiß, sagte ich, um endlich auch etwas zu sagen.
Aber Sie wissen nicht, warum! Erster Pfleger, weghören! Oder noch besser, hinaus! Ich pfeif dann.
Der Pfleger schaute den Doktor an, der nickte. Im nächstn Lewn wer’ i Patient, sagte der Pfleger und trabte hinaus.
Hans Lach leise: Ludwig hat einen Nachtpfleger, der schreibt, dreimal abgelehnt vom PilgrimVerlag, wegen Horror und Obszönität. Der flüstert dem Ludwig ins Ohr: Wenn ich in Ihrem Tropf das Rheomacrodex und das Conplamin sechsfach dosiere, verhauchen Sie zur Gänze und gleich danach gleich’ ich den Tropf wieder aus, Herr Professor.
Hans Lach schulterte den Rucksack, gab den Fingerpfiff, rief Servus, rief: Nichts mehr ertragen zu können, muß man sich leisten können! Und war draußen.
In der S-Bahn zählte ich die Wörter zusammen, die ich gesagt hatte. Es waren keine zwanzig. Und trotzdem hatte Dr. Swoboda unten an der Elektronikschleuse zu mir gesagt, mein Besuch sei immer willkommen, Hans Lach sei durch mich so gesprächig gewesen, wie er sonst nie sei. Ich war Hans Lach nicht nahegekommen. Die Begrüßung ohne Berührung enthielt schon den ganzen Verlauf.
Eigentlich, fand ich nachträglich, sind Hans Lachs Reaktionen einsehbar. Als wir mit dem Aufzug, dem inwendig gepolsterten, hinauffuhren, hatte Dr. Swoboda gesagt, Hans Lach habe in seinem Zustand keinen freien Willen mehr, das rechtfertige es, gegen seinen erklärten Willen zu handeln. Zu seinem Besten natürlich.
Der Schleier ist sehr dünn, aber unzerreißbar. Ich nahm mir vor, Julia Pelz-Pilgrim alles wortgenau, tongenau, gestengenau zu erzählen. Wenn überhaupt etwas zu hoffen war, dann durch Julia Pelz-Pilgrim. Diese Frau war so stark. So schön sie war, ihre Stärke war noch offenbarer als ihre Schönheit.
2
Das paßte dazu, daß es jetzt taute. In einem bäumereichen Viertel wird, wenn eine rasch hergeworfene Schneelast ebenso rasch wieder wegtaut, das Tauen zum Schauspiel. Erst recht in München, wo das Wegtauen durch jähen Föhnüberfall passiert. Es platscht und gluckert und rauscht überall. Da ich öfter gern ein Komponist wäre, allerdings einer im Jahr 1890, träume ich dann davon, daß ich eine Programm-Musik schreiben würde, so wie Richard Strauss’ Alpensinfonie , Titel: Alles
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