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Tod Eines Kritikers

Tod Eines Kritikers

Titel: Tod Eines Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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fließt. Und zum Föhnüberfall, der die Leute ohnehin quirlig macht und süchtig nach etwas Besonderem, paßte die Sensation: das Geständnis.
    Jetzt wurde geschrieben, als wäre zu Ehrl-Königs Tod noch nichts geschrieben worden: Daß Hans Lach gestanden hatte, wurde nicht zu seinen Gunsten ausgelegt. Jetzt war man geradezu gierig auf die Leiche. Jeden Tag neue Bilder der Suchaktionen in und an der Thomas-MannAllee. Die steile Böschung hinab, das von hohen Bäumen bestandene Ufergelände, das steile Ufer selbst, die Isar war übervoll und reißend. Wenn der Täter den Leichnam der Isar anvertraut hatte, mußte man hoffen, daß der Fluß ihn am gar nicht so weit entfernten Wehr anliefern werde. Aber weder Spuren noch Leichnam. Trotzdem wurde Ehrl-König das Thema wie noch nie zuvor. Eben durch das Geständnis.
    Ende Januar hatten alle den großen, unvergeßlichen, unersetzbaren Kritiker betrauert, der jetzt vollkommen ein Held geworden war, da er doch höchstwahrscheinlich ermordet worden war, weil er seinen Beruf so ernst und unbestechlich und unbeirrbar ausgeübt hatte wie noch nie ein Kritiker in der Geschichte der deutschen Literatur, ja, der Weltliteratur. Also, André Ehrl-König hätte sich zurücklehnen können und sein Gesicht, das er hatte, wenn er Huldigungen oder Komplimente entgegennahm, hätte sich so selig in die Breite dehnen können wie noch nie. Er war gefeiert worden als das absolute, immerwährende Edeldenkmal der Literatur schlechthin. Ein Opfer, wie es zu Herzen gehender nicht gedacht werden kann.
    Und jetzt der Täter. Hans Lach. Daß der das Geständnis inzwischen schon widerrufen hatte, hat noch nicht bekannt sein können. Vielleicht war es auch nur so hingesagt gewesen. Wie das Geständnis vielleicht auch. Dr. Swoboda hatte auf jeden Fall noch keinen Gebrauch davon gemacht. Und ich hatte es auch nicht weitergegeben an den KHK. Da ich nicht an die Schuld glaubte, bewegte mich die erklärte Unschuld zu nichts.
    Das Thema war jetzt, daß Hans Lach einen Juden getötet hatte. André Ehrl-König und Rainer Heiner Henkel hatten zwar Ehrl-Königs Herkunft nie als jüdische herausgestellt, aber jetzt wurde der jüdische Bankier König aus Nancy herbeschworen, und es wurde mehr als vermutet, daß die inzwischen mehr als hundertjährige Mutter, die ehemalige Sängerin Claire Koss auch aus einer jüdischen Familie stamme. In wenigen Tagen war aus Vermutbarem Tatsache geworden. Rainer Heiner Henkel, plötzlich wieder im Mittelpunkt des Interesses, sagte jeden Abend in einer anderen Talkshow, daß Wasserfall ein vom Maler-Großonkel angenommener Name gewesen sei, weil der eben fast nichts als Wasserfälle gemalt hatte. Das sage aber nichts aus über die Herkunft Ehrl-Königs. Er, Rainer Heiner Henkel, werde sich allerdings nicht beteiligen an der Herkunftsdebatte. Die erinnere ihn peinlich an andere Zeiten. Egal, zur Schmähung oder zum Preis, er finde Herkunftsdebatten fies und obsolet. Trotzdem ging das weiter: Hans Lach hatte seine Tat in der Tatnacht in der PILGRIM Villa in einem an Hitler erinnernden Jargon angekündigt. Ab heute nacht Null Uhr wird zurückgeschlagen.
    Diesen Hans Lach-Satz konnte man jetzt jeden Tag überall lesen und abends aus allen Kanälen hören.
    Wolfgang Leder warf sich im DAS Magazin diesem Spezialschwall entgegen, erklärte scharf und genau, daß es von nichts als Antisemitismus zeuge, wenn die Ermordung eines Juden, wenn er denn einer gewesen sei, moralisch schlimmer geahndet werde als die Ermordung eines Nichtjuden. Philosemiten seien eben, wie bekannt, Antisemiten, die die Juden liebten. Jetzt mußten die Feuilletons sich mit Leder auseinandersetzen und ihm scharf und genau erklären, daß in Deutschland die Ermordung eines Juden doch wohl ein Faktum ganz anderer Art sei als in jedem anderen Land der Welt.
    Dann Leder: Wenn Ehrl-König ermordet worden wäre, weil er Jude gewesen sei, hätten die anderen Recht. Aber es sei ja noch nicht einmal sicher, ob Ehrl-König Jude gewesen sei. Er, Leder, wisse an Ehrl-König nichts so sehr zu schätzen wie dessen Zurückhaltung in der Herkunftsfrage. Daß die Presse daraus immer wieder Tatsachen gemacht habe, sei nicht EhrlKönigs Schuld, sondern zeige den Geisteszustand der deutschen Gesinnungspresse.
    Gesinnungspresse war sofort ein Wort, ohne das keiner mehr auskam. Das zweite Leder-Wort für Presse war Meinungsbörse . Das kam nicht in Umlauf. Aber mildern konnten die Feuilletons ihre spezielle Empörung nicht. Warum hat

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