Tod Eines Kritikers
meinen Illusionen wird man anmerken, wogegen sie gezüchtet worden sind. Gegen die Misere. Auch meine.
3
Ich gönnte mir, bevor ich das vierte Tonband, das wieder von Hans Lach besprochene, abschrieb, eine Pause und fuhr hinüber in die Schlotthauer Straße zu Olga Redlich. Am Telephon hatte sie zurückhaltend geklungen. Schon ihren Namen hatte sie so gesagt, als wolle sie verhindern, daß man sich bei ihrem Namen etwas denke. Olga Redlich. So flach und tonlos wie möglich. Es gibt Leute, die führen ihre Namen auf wie Auftakte zu Arien. Olga Redlich sagte ihren Namen so, daß man ihn als nicht gehört verbuchen konnte. Ich ging die vier Treppen zu Fuß hinauf: Ich liebe alte Treppen. Das waren Stufen, die einen aufwärts führen konnten. Olga Redlich wohnt also in großen Räumen ohne Möbel. Alles fand auf dem Boden statt.
Teppichboden. Hellstes Lila. Ich mußte, wenn überhaupt, auf einem der Polster Platz nehmen. Die gab es als Rollen, als Würfel, als rundliche Stümpfe. Matratzen gab es auch. Und Tischplatten auf Klötzen, höchstens dreißig Zentimeter über dem Boden. An den Wänden Bücherregale, Höhe höchstens ein Meter. Darüber Zeichnungen. Portraits offenbar. Auf mehr als einem erkannte ich Hans Lach. Alle Köpfe und Gesichter schienen aus jähen Strichen entstanden zu sein, nicht aus sorgfältiger Strichelei, um ja dem Dargestellten ähnlichkeitsgerecht zu werden. Die Verzerrungen, die so entstanden, hatten durchaus einen frechen Reiz. Ich nahm auf einem Polsterwürfel Platz. Interessant, sagte sie. Man wird also beurteilt, je nachdem, worauf man sich setzt, sagte ich. Aber nicht verurteilt, sagte sie.
Sie war wirklich zartgliedrig, auch ihre längsten Haare reichten ihr nicht ganz in den Nacken, hingen aber mit einer Spitze weit und ein bißchen seitlich in die Stirn. Kastanienbraun, deutlich gefärbt. Bewirtet werden wollte ich hier nicht. Sie hatte sich so auf eine Polsterrolle gesetzt, daß ihre Knie links und rechts von der Rolle standen. Ich vermied es, interessant zu sagen. Sie war mir so sympathisch, daß ich angesichts der Kürze der Zeit, die mir hier gegönnt sein würde, sofort schwermütig hätte werden können. Wenn ich mir nicht die energischsten Kommandos gegeben hätte. Und dachte an Frau Lach, deren Gesicht durch Erfahrung und Alter versachlicht worden war. Allerdings lebte darin noch unzerstört eine Stimmung, die am ehesten in Bartóks schwierigen Elegien ausgedrückt ist. Eine Art Leid, das sich jedem Verständnis, überhaupt jedem Kontakt verweigert. Am Alibi hängt alles. Das Alibi entscheidet. Ich saß vor dem Alibi und glaubte, jetzt ermessen zu können, wie einsam Frau Lach war. Olga Redlich, Hans Lachs … ja was denn … Freundin … Geliebte, bitte nicht, aber zwanzig Jahre jünger, ohne auch nur einen Anflug von Leid oder auch nur Schwere, nichts als zart und fünfunddreißig. Ein Gesicht, das, weil Deutlichkeit weh tun könnte, zurückhält. Die graugrünen Augen allerdings wären, bildete ich mir ein, zu jeder Art von Übermut und Fröhlichkeit bereit. Der schmale Mund auch. Und eine Nase, die dann doch darauf bestand, gesehen zu werden. Sie gab dem übrigen Gesicht Stärke. Sie verhinderte überhaupt, daß dieses schmächtig wirkte. Der Pulloverausschnitt war, bevor er schwarz auf der Haut lag, noch weiß liniert. Und keine spitz zulaufende Raute hing da hinein und kein Kreis mit siebenzackigem Stern. Aber ein Hauch von Schatten kündigte Brüste an. Eine honigfarbene Hose, die weit vor den Knöcheln endete und da eckig zu den Seiten hinausstand. Ich sollte jetzt also fragen, ob sie bereit sei, Hans Lach das Alibi zu liefern, das dann die ganze Affäre beenden würde. Diese junge Frau war die Gewähr für meine unbeirrbare Empfindung, daß Hans Lach es nicht getan hatte. Und ich sollte mich hüten, sie hemmungslos anzuschauen. Die Wesensfülle, die ich, wenn ich sie anschaute, empfand, konnte ich als Phantasie abtun. Als Bedürfnis. Wenn es einen Menschen gäbe, der so wäre, wie ich glaubte, daß er sei … Da fragte sie schon, stellte mehr fest, als daß sie fragte: Ich sei mit Hans Lach befreundet, ich wolle seine Unschuld beweisen, Hans Lach habe mich zu ihr geschickt wegen des Alibis, andererseits habe er doch gestanden. Zusammenbruch, sagte ich. Sie stimmte zu. Wenn Hans Lach das Alibi von ihr verlange, sagte sie, werde sie es liefern. Er habe es bisher nicht von ihr verlangt. Fünf Jahre lang sei sie Hans Lachs Geliebte gewesen, eine Heirat sei nicht
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