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Tod Eines Kritikers

Tod Eines Kritikers

Titel: Tod Eines Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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gelungen, sie könne nicht ohne Kind sein, jetzt sei sie schwanger. Ein neuer Mann. In der Firma. Sie hat sich regelrecht verliebt. Lachsatt. Jan ist nicht ganz so alt, nicht ganz so verheiratet, scheidungsbereit, die Mischung aus Macho und Melancholie, für die sie möglicherweise anfällig ist. Sie hält sich für verheiratet seit dem 11. Dezember. Hans Lach habe nicht zugestimmt, habe es schmerzbewußt geschehen lassen. Ihren Kinderwunsch habe er immer bagatellisiert. Seit 21. Januar ist sie ihrer Schwangerschaft sicher. Am 28. Januar, nein, am neunundzwanzigsten, kurz vor ein Uhr nachts, läutet Hans Lach in einem Zustand wie noch nie. Sie kann ihn nicht vor der Tür stehen lassen. Er sei auf der Flucht. Vor wem? Ehrl-König. Ich hatte die Sendung gesehen. Das sei jetzt das Ende. Ich ließ ihn bei mir schlafen, mit mir schlafen, imitierte das Ritual, um sieben Uhr ging er. Dann noch ein Telephongespräch. Ehrl-König sei umgebracht worden. Er sei verhaftet worden, er habe kein Alibi. Keine Angst, er wolle kein Alibi. Brauche keins. Er klirre. Was, fragte ich. Er klirre, sagte er. Ohne daß er sich rege, klirre er. Solche Ausdrücklichkeit sei sie gewohnt gewesen von ihm. Dann die Zeitungsberichte. Jeden Tag wurde es noch schwerer. Sie kann wohl nicht zuschauen, wie er verurteilt wird. Sie weiß, daß Hans Lach niemanden umbringen kann. Trotzdem hat sie manchmal gehofft, er habe es getan. Er konnte es getan haben. Zwischen zwölf und eins. Von der Thomas-Mann-Allee in die Schlotthauer Straße, das ist keine Entfernung. Und richtig geschneit hat es ja erst später in der Nacht. Ein Freund kann ihn hergebracht haben, ein Taxi, sie hat ihn nicht gefragt. Jan hat von allem keine Ahnung. Er betastet ihren Bauch, legt sein Ohr an ihren Bauch. Hans Lach ist in ihrem Leben die Unglücksfarbe schlechthin. Fünf Jahre Qual, Streit, Hoffnung. Liebe, ja, Liebe auch, aber keine Sekunde Selbstverständlichkeit, kein Tag ohne Überanstrengung. Hans Lach lebt von der andauernden Schärfung der jeweils negativsten Stimmungsmöglichkeit. Und sie hat, neben ihm, auch noch Frau Lach verkraften müssen. Die gotisch gedachte Allegorie der Frau Weltschmerz. Und ihren Beruf zu verkraften hat sie auch noch. Zuerst Kunstakademie, jetzt Computerprogramme für Architekten. Die Programme werden aus Konkurrenzgründen immer billiger, aber die Umsätze sollen steigen. Amerikanische Firma. Das sind keine Unternehmer, sondern Sklaventreiber. Wie lange das noch gut geht. Sie habe zuerst Künstlerin, dann Architektin werden wollen, jetzt ist sie Anbieterin. Immer wenn wieder ein neuer Mann die Firma übernimmt, glaubt man: jetzt geht’s. Wenn er nach einem Jahr den Umsatz nicht bringt, ist er weg. Jan ist der erste, bei dem sie auch glaubt, er könne es schaffen. Er ist zäher als seine Vorgänger. Hat keine Illusionen. War drei Jahre drüben, kennt die Amerikaner. Mit ihm können sie nicht umspringen wie mit seinen Vorgängern. Er ist ein Mann, sie hat nicht geglaubt, daß es so einen gibt, genau so nüchtern wie phantastisch. Schluß. Sie muß das aber andeuten, daß Herr Landolf weiß, was für sie auf dem Spiel steht.
    Ich fragte, ob Hans Lach wisse, wie sie sich mit ihrem jetzigen Mann befinde. Gesagt habe sie es ihm. Ob er es wirklich gehört hat, weiß sie nicht. Er hat immer gesagt, er sei, wenn es nötig werde, sofort bereit, sie zu verlieren, aber sie dürfe nicht auch noch erwarten, daß er sich je daran gewöhnen werde. Und so weiter. Pause. Dann: Jetzt verlangt er also das Alibi.
    Ich sagte, er verlange es nicht, er frage nur, ob Olga ihm das Alibi spende. Er betont, daß er auch ohne Alibi durchs Leben komme.
    Wenn ich es Jan begreiflich machen könnte, sagte sie. Sie habe gedacht, eifersuchtsverfallener als Hans Lach sei überhaupt nicht denkbar. Aber verglichen mit Jan sei er ein sanftes Gewitter.
Gewesen.
Ich dachte: Vielleicht liegt das an Ihnen. Sagte es aber nicht.
    Das Schreckliche: Sie sei in dieser Januarnacht mit Hans Lach im Bett gewesen aus nichts als Mitleid und Rührung, und alles, was durch sie passiert sei, sei Mache und Fälschung gewesen. Aber das wird Jan nicht glauben. Er wird irgend etwas zum Fenster hinauswerfen und … es ist nicht auszudenken. Meine Liebe ist er. Erst als über Hans Lach hergezogen wurde, hat sich bei mir etwas zurückgemeldet, ein Gefühl, eine Solidarität, eine innige Teilnahme an seinem Schicksal, die ich Jan verschweigen mußte und immer noch muß. Das ist die wirkliche Katastrophe:

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