Tod Eines Kritikers
das die richtigen Vorbilder? Ist es lächerlich zu gestehen, daß ich Agnetha immer noch liebe? Darf man so lange in eine blonde Schwedin verliebt sein oder ist das ein Armutszeugnis? Ich träume ja gegen jede Wahrscheinlichkeit, daß Agnetha und ich das Jahrtausendpaar werden. Gut, als Sechzehn- oder Siebzehnjähriger ich an der Spitze einer möglicherweise verlorenen Schar von bewaffneten Arbeitern nockerbergaufwärts. Seit die Tonnen auf mich niederstürzten, sind mir solche Vorstellungen fremd. Freund Georg Meidner, seinerseits Künstler, zu mir: Was kannst du denn? Ich: Nichts. Log ich. Aber ich dachte: Ich kann schreiben wie der Herrgott persönlich. Damals hätte ich anfangen sollen mit Schreiben. Aber ich hatte meine Vorbilder noch nicht gefunden. Damals schoß es mir durch den Kopf: Du machst dir etwas vor. Aber was ich damit meinte, wurde mir nicht klar. Klar war immer nur der Gedanke: Unfaßbar, wie schön das Leben sein könnte. Und eben der Dauergedanke: Das Fernsehen macht mich krank. Wer Georg Meidner, seinerseits Künstler, auf Hannelore ansetzte, daß er sie mir wegnehme, hat mir bis jetzt kein Psychologe sagen können (oder wollen). Die wollte sofort nichts mehr von mir wissen. Und prompt schallte es aus dem Fernseher: Da wackelt die Wand. Und das hieß schon: Drüben fickt Georg meine Hannelore so gut, daß die Wand wackelte und daß ich das nie schaffe. Ich kann beschwören, daß das genau so ablief. Ich hätte zum Pfleger eins nicht sagen dürfen: Sie sind eine Naturkatastrophe. Deshalb muß ich hier jetzt mit dem von ihm strafweise verfügten Spitznamen Manerl oder Manderl herumlaufen. Als Manderl kriege ich keine Frau, klar. Und als Manderl kann ich nicht schreiben, klar. Ich will Ihnen keine Angst machen, sagte in der Nussbaumstraße Dr. Frau Probst-Baierl zu mir, entweder man macht Selbstmord oder man kommt zu uns. Aber ich dürfe, sagte sie, mit meinem Leiden nicht hausieren gehen. Ich weiß aber, wenn der fette Frank im Schulbus mich nicht gequält hätte, wäre ich heute mit einer hübschen, netten, lieben Frau verheiratet. Wenn ich je schreibe, fragt es sich, ob ich ohne Kindheitstragödie – wenn es eine war! – überhaupt schreiben würde. Seit meinem 20. Lebensjahr bin ich eine plündernde Null. Den großen Alexander Solschenyzin hat die Mathematik gerettet. Mich die Skandinavierinnen. Ich werde aber trotzdem Geneviève Winter heiraten. Ein zweites Mal entkommt sie mir nicht. Ich habe einmal getobt, sie hat einmal geblutet, das reicht doch. Mein Geheimnis: Ich bin durch nichts aufzuhalten. Das habe ich zufällig mit Alexander dem Großen gemeinsam. Aber Frau Dr. Probst-Baierl irrt: ich verachte meinen Vater nicht. Ich liebe meinen Vater. Ich denke oft an einen Krieg mit betäubenden, nichttötenden Kugeln nach. Immerhin haben zirka 20 Verlage meine ersten Manuskripte abgelehnt. Keine Rache meinerseits. Unreifes Zeug war das. Hatte noch keine Vorbilder. Alexander Solschenyzin: Die Wahrheit bahnt sich ihren Weg. Daran konnte mich auch diese ARD-Zicke nicht irremachen, der zu einer Vogelschar, die nicht mehr in den Sünden gelangt war, nichts einfiel als: Ob zu jung oder zu schwach, für SIE (die Vogelschar) ist der letzte Zug jedenfalls abgefahren. Das mußte ich, weil sie das SIE so betonte, auf mich beziehen. Aber sie hatte recht. Auch nur ein Tonband zu kopieren war für mich eine unbestehbare Aufgabe geworden. Es stellt sich natürlich die Frage: Muß ein Schriftsteller ein Tonband kopieren können? Hannelore einmal schnippisch: Wenn ich dir den Laufpaß gäbe, das würdest du nicht überleben. Stimmt. Ich habe es nicht überlebt. Ach nein, Quatsch, gerettet haben mich damals eindeutig die Skandinavierinnen. Im Fernsehen hieß es zu allem Überfluß: Es waren die asiatischen Regimenter, die Moskau retteten. Dieser Satz ist nun wirklich von mir. Aber weil ich ihn nicht niedergeschrieben habe, kann ich das nicht beweisen. Das passiert jetzt immer häufiger, daß Sätze von mir da und dort gesagt und geschrieben werden, und ich kann, weil ich immer noch nicht anfangen kann zu schreiben, nicht beweisen, daß es meine Sätze sind. Frau Dr. Sandra Rothroz hat mich immer so abfahren lassen: Kommen Sie mir nicht mit Übersinnlichem! Und ich habe nicht gewagt zu fragen, was das jetzt wieder sei: das Übersinnliche. Wenn mir Pfleger eins zuruft: Unser Manderl! dann denke ich an die Naturkatastrophe und dann natürlich an: Gelegentlich macht es sich bezahlt. Wie hat es Geneviève formuliert:
Weitere Kostenlose Bücher