Tod eines Lehrers
Freundin, eine, mit der er über fast alles reden konnte. Nachdem seine Frau sich von ihm getrennt hatte, war Eberl es, die ihm Mut machte und ihm sagte, der Tag würde kommen, an dem er die Richtige kennen lernen würde. Und vielleicht hatte sie ja Recht behalten.
»Und wenn?«, sagte Brandt, der sein Ohr mit einem Mal doch an die Tür legte, um zu hören, was Elvira Klein und Anja Russler besprachen.
»Nichts und wenn. Jetzt sag schon, warst du mit ihr aus oder nicht? Außerdem, was machst du denn da?«
Er legte einen Finger auf den Mund und bedeutete ihr, näher zu kommen.
»Ist das ein Lauschangriff?«, flüsterte sie grinsend.
»Ja.«
»Warst du jetzt gestern mit ihr aus?«
»Du nervst«, quetschte er leise durch die Lippen. »Aber wehe, du sprichst mit irgendwem darüber …«
»He, hab ich jemals getratscht?«, fragte sie ernst. »Wie war’s denn?«
»Ganz nett.«
»Wenn du ganz nett sagst, dann muss es großartig gewesen sein. Ich hab dir ja gesagt, was ich von Andrea halte. Ich würde mich für dich freuen, wenn …«
»Hör auf, es ist zu früh. Alles braucht seine Zeit. Und jetzt muss ich mal ganz dringend für kleine Jungs.«
Als er von der Toilette zurückkam, saß Eberl am PC und spielte Solitaire. Sie machte das manchmal auch im Dienst, um sich zu entspannen. Er stellte sich wieder an die Tür und belauschte das Gespräch im Zimmer nebenan. Ein paarmal schaute er zur Uhr. Seit beinahe einer Stunde sprach Elvira Klein jetzt schon mit Anja Russler. Er wollte raus hier, zwei Pizzas holen und sich mit Andrea einen gemütlichen Abend machen.
Samstag, 18.25 Uhr
I st das wirklich wahr? Hast du Schirner und Teichmann ermordet?«, fragte Elvira Klein, die sich nicht hinter den Schreibtisch, sondern schräg neben Anja Russler gesetzt hatte.
»Ist wohl so«, antwortete Anja Russler schulterzuckend. »Sie haben es nicht anders verdient.«
»Warum?«
»Das habe ich doch alles schon Herrn Brandt gesagt.«
»Sag’s mir trotzdem, ich will es aus deinem Mund hören.«
»Darf ich aufstehen? Ich kann nicht mehr sitzen.«
»Natürlich.«
Sie stand auf, streckte sich, fuhr mit einer Hand über die große Karte, die den Bereich der Kripo Offenbach zeigte, und sagte: »Ich hätte nicht gedacht, dich hier zu treffen. Ich kann mich noch erinnern, wie du Schirner vergöttert hast …«
»Ich habe ihn nicht vergöttert«, verteidigte sich Klein, »ich hab ihn nur gemocht. Das ist wohl ein Unterschied.«
»Du hast ihn vergöttert, ich kenne kaum einen, der ihn nicht vergöttert hat. Er war unser Superlehrer, er wusste alles, er war einfühlsam, immer gut drauf, und wenn er’s mal nicht war, dann hat er es uns trotzdem nicht spüren lassen. Ich war damals auch total fasziniert von ihm, genau wie du. Er hatte so eine ruhige, väterliche Art. Erinnerst du dich noch an diese Sommernacht im Juni, kurz vor den Ferien, als er mit uns allen auf den Feldberg gefahren ist und uns etwas über Stille erzählt hat?«
»Ja«, sagte Klein nach kurzem Überlegen.
»Er hat uns erklärt, was Stille ist, wahre Stille. Wir haben nichts gehört als das Rauschen der Bäume und hin und wieder einen Vogel, der im Schlaf gepiept hat. Er wollte uns zeigen, dass Stille etwas mit Frieden zu tun hat und die Menschen verlernt haben, in sich hineinzuhorchen, weil sie immer nur von Geräuschen und Lärm umgeben sind. Er hat uns aufgefordert, eine Woche lang jeden Tag eine Stunde die Stille zu suchen, um so zu uns selbst und zu unserem inneren Frieden zu finden. Und er hat gesagt, wenn wir das tun würden, dann würden wir süchtig danach werden, weil wir unser Leben und uns selbst viel besser verstehen könnten. Ich werde diese Nacht nie vergessen, weil ich so beeindruckt war, weil ich mir vorher nie Gedanken darüber gemacht hatte. Mein Leben war bis dahin chaotisch verlaufen, und jetzt war da mit einem Mal jemand, der mir einen Weg aufzeigte, wie ich aus dem Chaos Ordnung schaffen konnte. Aber ich hätte damals nicht im Geringsten auch nur vermutet, was für ein Monster in diesem Mann steckte. Hätte er doch nur das vorgelebt, was er uns gelehrt hat, er würde heute noch leben. Aber den Frieden und die Stille, die er predigte, waren etwas, das er selber nicht kannte, sonst hätte er diese Sachen nicht gemacht.«
»Die Mädchen, die von ihm sexuell genötigt wurden, waren doch alt genug, um nein zu sagen. Mit sechzehn, siebzehn odergar achtzehn lässt man sich heute nicht mehr so leicht unter Druck setzen.«
»Ich merke schon,
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