Tod eines Lehrers
Idiot! Du hättest es sagen können, sie hätte es bestimmt gerne gehört. Scheiß drauf, ich sag’s ihr nachher. Vielleicht.
Er begab sich wieder in sein Büro, wo die Luft rauchgeschwängert war und der Aschenbecher bereits überquoll, aber es machte ihm nichts aus. Er konnte Anja Russler verstehen, ihre Aufregung, ihre Nervosität, auch wenn sie sich überraschend gut unter Kontrolle hatte.
»Können wir irgendetwas für Sie tun?«, fragte er. »Haben Sie Hunger?«
»Nein, ich habe keinen Hunger. Was wird der Staatsanwalt mit mir machen? Wird er auch Fragen stellen?«
»Ja, aber es wird nur ein kurzes Verhör sein, das meiste haben wir ja schon auf Band. Außerdem ist es eine Staatsanwältin.«
»Das ist gut. Eine Frau ist immer gut«, sagte sie müde lächelnd.
Freu dich nicht zu früh, dachte Brandt. Du weißt ja noch nicht, wem du gleich begegnen wirst.
»Sie sind übrigens ein verdammt netter Kerl, das wollte ich Ihnen nur mal sagen. Passen Sie bloß immer schön auf Ihre Töchter auf.«
»Werd ich machen.«
Sie warteten eine gute Viertelstunde, bis die Tür aufging und Elvira Klein hereinkam. Sie war modisch gestylt wie immer, aufgebrezelt, wie Brandt es ausdrückte. Anja Russler wandte den Kopf. Elvira Klein kniff die Augen zusammen. Anja Russlers Gesicht drückte ungläubiges Staunen aus.
»Elvira? Was machst du denn hier?«
»Das Gleiche könnte ich dich auch fragen. Herr Brandt, wenn das ein Witz sein soll, dann kann ich nicht darüber lachen.«
»Frau Russler hat die Tat gestanden. Sie hat mir die beiden Messer übergeben, die bereits bei der KTU sind, wo das darauf befindliche Blut untersucht und verglichen wird.«
»Du bist Staatsanwältin?« Anja Russler fasste sich an die Stirn und schüttelte ungläubig den Kopf. »Das erklärt natürlich alles.«
»Was meinst du?«, fragte Elvira Klein stirnrunzelnd und setzte sich neben ihre ehemalige Schulkameradin.
»Dein Auftritt in der Schule. Ich habe gedacht, das wäre …«
»Das wäre was?«
»Vergiss es. Also noch mal von vorn – du hast es also zur Staatsanwältin gebracht. Gratuliere.«
»Würden Sie uns bitte allein lassen«, sagte Klein zu Brandt und Eberl. »Ich möchte mich gerne mit Frau Russler unter vier Augen unterhalten.«
Brandt und Eberl begaben sich wieder in das Nebenzimmer, wo er als Erstes sein Handy, dessen Akku fast leer war, an die Ladestation anschloss.
»Was glaubst du besprechen die jetzt?«, fragte Eberl.
»Mir egal. Die Klein soll zusehen, wie sie damit fertig wird, vor allem, was sie daraus macht. Ich kann nur hoffen, dass sie einen Funken Verständnis aufbringt. Wenn nicht, dann landet die Russler für viele, viele Jahre im Knast.«
Eberl schüttelte den Kopf und konnte sich kaum beruhigen. »Warum werden unsere Kinder nicht besser vor solchen Typen wie Schirner und Teichmann geschützt? Warum ist es so schwer, einen Vater vor Gericht zu bringen, der seine eigene Tochter missbraucht und unfruchtbar macht? Jeder Steuersünder wird härter bestraft als ein Kinderschänder, meistens jedenfalls. In Fällen wie diesem zweifle ich an unserm System, denn es stinkt zum Himmel.«
»Ich reg mich schon lange nicht mehr darüber auf, doch manchmal würde ich den hohen Herren gerne mal meine Meinung sagen. Aber was die Russler gemacht hat, war nun mal eindeutig Mord. Nicht im Affekt, nicht in Notwehr, sondern eiskalt geplant …«
»Ja, eiskalt geplant seit sie ein Kind war«, wandte Eberl sarkastisch ein, ein Zug, den sie nur sehr selten zeigte. »Das ist esdoch, was sie gemeint hat. Jemand, der so etwas nicht erlebt hat, wird sich das auch nicht vorstellen können. Ich habe zum Glück einen guten Vater, der mich nicht ein einziges Mal geschlagen hat. Der hätte sein Leben für mich gegeben und würde es auch heute noch tun.« Sie holte tief Luft und fuhr fort: »Und wer hat ihr beigestanden, als sie von ihrem Vater wieder und wieder geschändet wurde? Da war keiner, keine Mutter, keine Freundin, niemand. Und jetzt hat sich bei ihr etwas entladen, was über zwanzig Jahre lang in ihr gebrodelt hat. Für mich war es keine eiskalt geplante Tat, sondern nur Wut und Hass.«
»Weißt du, was ich an dir so schätze?«, sagte Brandt.
»Was denn?«
»Dass du die Menschen verstehst.«
»Das tust du doch auch, sonst hättest du das eben nicht gesagt. Warst du übrigens mit Andrea essen?«, wechselte sie elegant das Thema, weil sie mit Lob und Anerkennung nur schwer umzugehen wusste. Aber für Brandt war sie eine gute
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