Tod eines Lehrers
sagte sie leicht ungehalten. »Wer kommt Ihrer Meinung nach in Betracht?«
»Also gut, es sind sechs Frauen, unter anderem Carmen Schirner. Sie hat mir das Video geschickt.«
»Die Tochter von Schirner? Warum sollte die ihren eigenen Vater umbringen?«
»Sie hatte Kenntnis von seinen perversen Machenschaften, das hat sie mir heute gestanden.«
»Dann müssen wir die Dame vorladen und verhören …«
»Nein, das halte ich nicht für so gut. Geben Sie mir noch Zeit, ich bringe Ihnen die andere Person – wenn es denn eine andere gibt.«
»Moment mal, was soll das schon wieder heißen? Gibt es nun noch eine zweite Person oder nicht?«
»Frau Russler ist Sportlehrerin und sehr durchtrainiert. Sie kann es auch allein gewesen sein«, versuchte Brandt sich herauszuwinden.
»Da mögen Sie Recht haben, aber ich glaube Ihnen nicht, außerdem macht es auch keinen Sinn. Eine Frau und zwei Messer! Sie denken wohl immer noch, ich glaube an den Weihnachtsmann.«
»Was werden Sie mit Ihrer ehemaligen Freundin jetzt machen?«, wurde sie schnell von Brandt unterbrochen. »Hat sie Ihnen erzählt, was sie durchgemacht hat? Auch, dass sie deswegen keine Kinder bekommen kann?«, fragte er scheinheilig.
»Ja, hat sie. Es ist schrecklich, aber keine Entschuldigung. Das hätte alles auch anders geregelt werden können, wir leben schließlich in einem Rechtsstaat. Mein Gott, wenn jeder das Gesetz selbst bestimmen würde, wo kämen wir da hin?!«
»Ja, wo kämen wir da hin? Sie kennen die Gesetzbücher auswendig, weil Sie sie wahrscheinlich schon als Kind auf Papis Schoß auswendig gelernt haben, aber …«
»Was aber? Ich höre Ihnen aufmerksam zu.«
»Nichts weiter. Haben Sie Mitleid mit ihr?«, fragte er, obwohl er wollte, dass sie es von sich aus sagte.
»Diese Frage ist nicht zulässig. Ich bin Staatsanwältin und keine Seelsorgerin. Sie wird ihren Prozess bekommen, ich werde die Anklage vertreten, und dann sehen wir weiter.«
»Und auf was werden Sie plädieren? Lebenslänglich?«
»Das lassen Sie mal meine Sorge sein. Sie machen Ihre Arbeit, ich meine. Und tun Sie mir einen Gefallen, finden Sie die zweite Person. Sie war es nicht allein«, sagte sie mit einem Lächeln, das irgendwie charmant wirkte und sie noch hübscher machte, als sie ohnehin schon war. »Ich werde mit Frau Russler morgen noch einmal in aller Ruhe sprechen. Im Augenblick ist sie nicht ganz bei der Sache, was ich auch verstehen kann. So, und jetzt geh ich. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend.«
Brandt musste lächeln. Wie hatte Andrea doch gleich gesagt – die Klein ist nicht so übel, wie sie sich immer gibt. Möglicherweise hatte sie ja Recht.
Er fuhr kurz zu Hause vorbei, packte schnell frische Socken, Unterwäsche, eine Jeans und ein Sweatshirt ein sowie Rasierzeug und ein Eau de Toilette, rief bei seiner Stammpizzeria an und bestellte zwei Pizzas mit doppelt Salami, Peperoni und Zwiebeln. Als er sie abholte, nahm er auch gleich noch eine Flasche Rotwein mit. Es war fast halb neun, als er bei Andrea Sievers klingelte.
Samstag, 20.30 Uhr
H i, da bin ich«, sagte er, stellte die Pizzas und den Rotwein auf dem Tisch ab und brachte die kleine Reisetasche ins Schlafzimmer. Das Licht war gedämpft, ein paar Kerzen brannten und verbreiteten eine heimelige Atmosphäre. Im Hintergrund spielte leise Musik, es war wieder so wie gestern – als käme er nach Hause.
»Meine letzte Pizza habe ich vor Ewigkeiten gegessen«, sagte sie und wollte Teller aus dem Schrank holen, doch Brandt hielt sie zurück.
»Wir brauchen keine Teller. So was isst man aus der Pappe. Nur den Wein will ich nicht unbedingt aus der Flasche trinken«,entgegnete er und merkte erst jetzt die Anstrengung des zurückliegenden Tages. Seine Beine waren schwer wie Blei, und er hatte leichte Kopfschmerzen, die er sich aber nicht anmerken ließ.
»Was hat denn jetzt so lange gedauert?«, fragte Andrea und brachte die Gläser.
»Ich habe Frau Russler verhaftet, das heißt, ich habe das Gefühl, sie wollte sich verhaften lassen. Eine üble Geschichte.« Er zog seine Jacke aus und hängte sie an den Kleiderhaken im Flur. »Ich geh mich kurz frisch machen.«
Brandt ging ins Bad, wusch sich die Hände und das Gesicht, betrachtete sich für einen Moment im Spiegel und fragte sich, ob er nicht doch zu alt war für eine junge, dynamische Frau wie Andrea. Aber letzte Nacht hatte er sich gefühlt, als wäre er in einen Jungbrunnen gefallen, und er hätte niemals für möglich gehalten,
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