Tod eines Lehrers
weil sie ja nicht wussten, wem sie überhaupt noch vertrauen durften. Es konnte ja keine von denen ahnen, dass ich ebenfalls ein Opfer bin und dass in mir noch immer dieser unsägliche Hass auf all jene ist, die solche Schweinereien begehen. Es gab nur diese eine Schülerin, die es mir gesagt hat. Und weißt du was – anfangs wollte ich es auch nicht glauben, ausgerechnet Schirner, der Mann, der uns etwas von Stille und innerem Frieden gelehrt hat. Und damit ist auch diese schöne Illusion wie ein Luftballon zerplatzt. Peng! Es gibt keine wahre Stille, keinen inneren Frieden, es sind alles nur hohle Phrasen. Keinen Gott, kein Leben nach dem Tod, es ist alles vergänglich. Wir kommen und wir gehen. So ist das Leben.«
»Du könntest deinen Vater auch heute noch anzeigen.«
Anja Russler winkte ab. »Vergiss es. Außerdem bin ich es, die vor Gericht stehen wird, ich werde mein Geständnis wiederholen und ins Gefängnis gehen. Wirst du die Anklage vertreten?«
»Ich denke schon. Aber du wirst einen guten Anwalt brauchen. Hast du einen?«
»Nein. Kannst du mir einen empfehlen?«
Elvira Klein kniff die Lippen zusammen und sah Anja Russler an. »Eigentlich dürfte ich das nicht, aber der hier ist ein Ass.« Sieschrieb den Namen und die Telefonnummer auf und ließ den Zettel auf dem Tisch liegen. »Hätte ich jemals gewusst, was du durchgemacht hast …«
»Was dann? Du hättest es damals doch gar nicht verstanden. Die Leute verstehen es immer erst, wenn es zu spät ist.«
»Aber darf man deshalb zwei Menschen umbringen?«
»Willst du mit mir über Recht und Unrecht philosophieren? Wenn ja, dann hast du den falschen Zeitpunkt gewählt. Ich bin müde und leer. Ich habe nicht zwei Menschen umgebracht, sondern zwei Bestien. Und es tut mir nicht im Geringsten Leid.«
»Lass mich dir einen Tipp geben – sag im Prozess niemals, dass es dir nicht Leid tut. So was kommt nicht gut an.«
»Das ist mir egal.«
»Jetzt vielleicht, aber in ein paar Tagen sieht das ganz anders aus, glaube mir. Der Anwalt wird dich gut beraten und mit dir eine Strategie entwickeln. Ich muss dir aber auch sagen, dass du morgen dem Haftrichter vorgeführt wirst. Allerdings weiß ich nicht, wann der Prozess sein wird. Es kann schon in vier Wochen sein, es kann aber auch drei bis sechs Monate dauern.« Elvira Klein stand auf und nahm ihre Tasche. »Und wenn du etwas brauchst, wende dich an mich. Ich werde jedenfalls alles dafür tun, damit ich die Anklage vertreten kann. Hast du mich verstanden?«, sagte sie mit vielsagendem Blick.
»Ich denke schon. Danke.«
Elvira Klein ging zur Tür, winkte den Beamten herein und ließ Anja Russler abführen. Sie blieb noch einen Moment stehen und sah ihr nach, bis sie um die Ecke verschwunden war. Dann begab sie sich zu Eberl und Brandt.
Samstag, 19.35 Uhr
W ürden Sie mich bitte für einen Moment mit Herrn Brandt allein lassen?«, sagte sie zu Eberl. »Es dauert auchnicht lange. Im Prinzip können Sie aber auch nach Hause gehen, Frau Russler wird gerade in U-Haft gebracht.«
Eberl fuhr den PC runter und verabschiedete sich, nicht ohne Brandt vorher noch einen aufmunternden Blick zuzuwerfen, der nur mit den Händen in den Hosentaschen dastand und sich das Grinsen kaum verkneifen konnte, kannte er doch die wesentlichen Passagen des Gesprächs bereits.
»Wie sind Sie auf Frau Russler gekommen?«
»Es war eine Eingebung. Ich wusste ja, dass sie was mit Schirner hatte, und da sie Vertrauenslehrerin ist, dachte ich, wenn eine missbrauchte Schülerin sich überhaupt jemandem anvertraut hat, dann ihr. Ich war mir nicht sicher, aber ich hatte so eine Ahnung.«
»Gratuliere, gute Arbeit. Damit hätten wir den Fall gelöst.«
Wir, dachte er, natürlich wir, warum nicht gleich du ganz allein?
»Der Fall ist wahrscheinlich noch nicht gelöst. Frau Russler kann es meines Erachtens nicht allein gemacht haben, auch wenn sie das Gegenteil behauptet. Sie hatte mindestens eine Komplizin.«
»Lassen Sie mich raten – Sie haben schon jemanden im Visier, wollen mir aber den Namen nicht nennen, so wie Sie mir verschwiegen haben, dass Frau Russler und Schirner ein Verhältnis hatten?«, fragte sie lächelnd.
»Da kommen viele in Betracht.«
»Herr Brandt, ich kenne Sie zwar noch nicht so lange, aber Sie haben zumindest einen Verdacht, wer es sein könnte, das sehe ich Ihnen an.«
»Nein, ich habe keinen Namen.«
»Ach, kommen Sie, machen Sie mir doch nichts vor. Jetzt rücken Sie schon raus mit der Sprache!«,
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