Tod eines Lehrers
selbst beschäftigt, die hätte nur gesagt, Kerstin, du solltest mal zum Arzt gehen. Es gab doch keinen, mit dem ich darüber sprechen konnte, weil ich ja nicht wusste, dass vor mir schon andere das Gleiche durchgemacht hatten.«
»Wem haben Sie Ihre Geschichte zuerst erzählt?«
»Frau Russler.«
»Und wann?«
»Am 11. Januar.«
»Und wie kam es dazu? Sind Sie freiwillig zu ihr gegangen, um diesen Ballast loszuwerden?«
»Nein, sie hat mich zu sich eingeladen und mir die Sache von einem andern Mädchen erzählt. Da wusste ich, dass ich nicht allein war, und habe mir diesen ganzen Scheiß von der Seele geredet.«
»Wann wurden Sie von Schirner und Teichmann zu sexuellenHandlungen gezwungen beziehungsweise wann wurde das Video aufgenommen?«
»Am 11. April 2002. Das war ein Donnerstagabend. Sie haben es immer donnerstags gemacht.«
»Woher wissen Sie das?«
»Sie haben es mir gesagt.«
»Und wo wurde es aufgenommen?«
»In einem Haus, aber ich kann Ihnen nicht sagen, wo es sich befindet.«
»Das verstehe ich nicht. Wurden Ihnen die Augen verbunden?«
»Nein, es war schon dunkel. Ich weiß nur, dass wir in Richtung Dreieichenhain gefahren sind.«
»Haben sie Ihnen vorher etwas gegeben, Drogen, Alkohol, Tabletten?«
»Ich musste ein Glas Wein trinken, da muss aber noch was anderes drin gewesen sein. Ich war benebelt und high zugleich.«
»Hatten Sie Schmerzen?«
»Bestimmt, aber ich habe sie nicht gespürt, zumindest nicht in diesem Moment. Sie kamen erst, als die Wirkung dieses Mittels nachgelassen hat.«
»Existiert das Video noch, in dem Sie missbraucht werden?«
»Ja. Ich wollte es eigentlich verbrennen, aber Carmen und Anja haben gemeint, dass es besser wäre, wenn wir es behalten würden, für den Fall, dass man uns verhaftet.«
»Wann haben Sie es zum ersten Mal gesehen?«
»Vor gut drei Wochen.«
»Und wo?«
»Bei Frau Russler.«
»Sie sagen immer Frau Russler. Siezen oder duzen Sie sich?«
Kerstin zögerte mit der Antwort, sie blickte zu Boden, ihre Hände verkrampften sich ineinander. »Wir duzen uns. Aber erst seit ein paar Wochen. Es ist nicht üblich, dass Lehrer und Schüler sich duzen.«
»War auch nur eine Frage. Fühlen Sie sich jetzt erleichtert oder haben Sie Angst?«
»Beides.«
»Möchten Sie zu Ihrer Aussage noch etwas hinzufügen oder korrigieren?«
»Nein, ich habe die volle Wahrheit gesagt.«
»Gut, dann gehen Sie bitte wieder in den Nebenraum und schicken Sie mir Frau Esslinger herein.«
Silvia Esslinger kam herein, machte die Tür hinter sich zu und nahm auf dem Stuhl Platz. Auch ihre Aussage wich in keinem Detail von denen von Carmen und Kerstin ab, mit der Ausnahme, dass auch sie behauptete, die Erste gewesen zu sein, die zugestochen habe. Sie wirkte selbstsicher, mied weder den Blickkontakt mit Brandt noch mit Eberl, ihre Haltung drückte Stolz und Entschlossenheit aus. Keine Spur von Angst oder Nervosität.
»Wurden Sie auch zu sexuellen Handlungen gezwungen?«
»Nein. Ich habe von den Schweinereien erst durch Kerstin erfahren, nachdem sie mit Frau Russler gesprochen hat. Ich war total geschockt, denn ich hätte alles für möglich gehalten, aber so was nicht. Da machte auf einmal auch der Selbstmord von Maureen einen Sinn. Und als dann auch noch Carmen mit den Videos ankam … Maureen war so sensibel und fein, sie hatte so was nicht verdient. Und Kerstin haben Sie ja auch kennen gelernt. Sie ist so eine tolle Freundin, eine bessere kann man sich nicht wünschen. Ich war so voller Hass, das können Sie sich gar nicht vorstellen. Da sind bei mir alle Sicherungen durchgebrannt. Am liebsten hätte ich diese beiden Drecksäue gleich umgebracht, doch dann haben wir alle gemeinsam einen Plan geschmiedet.«
»Aber wenn Sie nicht direkt betroffen waren, warum haben Sie dann mitgemacht?«
»Es ging um meine Freundinnen. Und weil Carmen auch so gelitten hat. Für sie ist eine Welt zusammengebrochen, alssie …« Mit einem Mal vergrub Silvia, die sonst so stark und selbstsicher wirkte, ihr Gesicht in den Händen und fing an zu weinen. Eberl setzte sich neben sie und legte einen Arm um ihre Schulter. Sie hatte Mitleid mit dem Mädchen, eigentlich hatte sie Mitleid mit allen vieren. Unter Tränen fuhr Silvia fort: »Diese verdammten Dreckschweine haben den Tod verdient, denn sie haben Maureen auf dem Gewissen. Ich musste mitmachen, weil ich mir sonst für den Rest meines Lebens Vorwürfe gemacht hätte. Wir sind Freundinnen, und wir werden es auch immer bleiben.«
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