Tod eines Lehrers
Mäntel und kennen sich in der Garderobe gut aus«, bemerkte Brandt trocken.
»Ich verstehe nicht, was Sie meinen«, sagte Drescher mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Unwichtig. Ihnen fällt also von den Schülern oder Lehrern keiner ein, der mit Schirner nicht so gut zurechtkam? Oder anders ausgedrückt – es muss doch auch Schüler oder ehemalige Schüler geben, die ihn nicht mochten.«
»Ich kann Ihnen da leider nicht weiterhelfen, denn Herr Schirner war durch die Bank weg beliebt, auch wenn Ihnen das vielleicht nicht passt. Aber natürlich gibt es auch hin und wieder Schüler, die sich ungerecht behandelt fühlen, wir Lehrer sind schließlich auch nur Menschen, aber deshalb begeht man nicht gleich einen Mord.«
»Zu allen Zeiten haben Menschen schon aus scheinbar nichtigen Gründen einen Mord oder sogar mehrere begangen. Und was Schulen angeht, ich brauche da nur an Erfurt zu erinnern.«
»Ich bitte Sie«, entrüstete sich Drescher, »Erfurt war eine ganz andere Geschichte, mit einem völlig anderen Hintergrund.«
»Schau mer mal. Wir würden gerne so bald wie möglich mit unserer Befragung beginnen. Wann ist die nächste Pause?«
»Viertel nach zwölf.«
»Gut. Schicken Sie alle Schüler nach Hause, außer die der Oberstufe. Wie viele Klassen hat Herr Schirner unterrichtet?«
»Da müsste ich nachsehen, Moment.« Er warf einen Blick auf einen überdimensionalen Stundenplan, der an der Wand hing, und meinte: »In der Elf Mathe und Ethik, in der Zwölf je einenKurs Mathe, Physik und Ethik, in der Dreizehn ebenfalls Mathe, Physik und Ethik. Die in der Zwölf und Dreizehn waren allesamt Leistungskurse.«
»Er war doch sicher auch Klassenlehrer, oder?«
»Ja, die 11a. Ab der Zwölf gibt es keinen Klassenlehrer mehr, dort gibt es Kurse, und die Lehrer nennt man Tutoren.«
»Auch gut. Dann würden wir uns gerne erst mit den Schülern der 11a unterhalten. Die anderen nehmen wir uns in den nächsten Tagen vor.«
»Selbstverständlich. Ich werde das sofort veranlassen.«
»Wie viele Kurse hat er denn insgesamt unterrichtet oder abgehalten oder wie sagt man da?«
»Sechs Kurse, das habe ich doch eben aufgezählt.«
»Und wie viele Schüler sind in jedem dieser Kurse?«
»Das hängt ganz davon ab, wie viele sich eingetragen haben. In Mathematik und Physik sind es in der Regel nicht so viele, aber bei Schirner war das anders, sein Leistungskurs Mathematik war mit neunzehn Schülern überdurchschnittlich gut besucht, in Physik hatte er zwölf und in Ethik vierundzwanzig Schüler.«
»Die Lehrer sollen sich noch etwas gedulden, die Befragung der Schüler dauert nur ein paar Minuten. Bevor Sie sie aber bitten, hab ich noch eine Frage. Gibt es Kollegen, die ein besonders gutes Verhältnis zu Herrn Schirner hatten?«
»Lassen Sie mich es so formulieren – ich kenne keinen Kollegen, der kein gutes Verhältnis zu Herrn Schirner hatte.«
»Damit haben Sie aber meine Frage nicht beantwortet.«
»Also gut, wenn Sie es genau wissen wollen, sein bester Freund war Herr Teichmann. Er unterrichtet Deutsch, Englisch und Erdkunde. Dann sind da noch Frau Russler, Sport, Englisch und Deutsch, Herr Baumann, Kunst und Religion, Frau Engler, Geschichte, Biologie und Chemie, und Frau Denzel, Latein und Französisch. Frau Russler ist gleichzeitig Vertrauenslehrerin.«
Brandt hatte sich die Namen notiert und fragte: »Es gibt zwei Vertrauenslehrer?«
Drescher verzog den Mund zu einem gequälten Lächeln ob dieser in seinen Augen überflüssigen Frage. »Man braucht immer einen Mann und eine Frau als Vertrauenslehrer. Oder glauben Sie, eine Schülerin von siebzehn Jahren würde sich mit typisch weiblichen Problemen gerne einem Mann anvertrauen?«
»Und was ist mit Ihnen, ich meine, waren Sie und Herr Schirner befreundet?«
»Nein, uns verband keine tiefe Freundschaft, wir waren Kollegen. Das heißt jedoch nicht, dass ich Herrn Schirner nicht mochte, ganz im Gegenteil. Aber wenn Sie es genau wissen wollen, ich habe ihn seinerzeit als stellvertretenden Direktor vorgeschlagen, weil mich seine Fähigkeiten so überzeugt haben. Und da ich die Schule nächstes Jahr verlassen werde, habe ich mich sogar dafür eingesetzt, dass er mein Nachfolger wird. Die Zusage dafür kam vorgestern auf meinen Schreibtisch. Ich wollte es ihm am Freitag feierlich im Kreis der Kollegen mitteilen. Tja, und nun kann ich diesen Schrieb zerreißen.«
»Gab es denn keinen Neid unter den Kollegen? Ich meine, Sie sprechen von ihm wie von einem Heiligen, da
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