Tod eines Lehrers
über den Lehrer und die Person Schirner zu erfahren. Gibt es denn in diesem Raum keinen, der ein Problem mit ihm hatte? Ich meine, Mathe und Physik liegt beileibe nicht jedem, und jetzt, das Abitur vor Augen …«
»Ungefähr die Hälfte der ehemaligen elften Klassen hat Physik abgewählt. Und sollte einer doch Physik oder Mathe Leistung belegt haben und nicht richtig mitkommen, dann helfen die Starken den Schwachen. So ist das nun mal bei uns. Und Herr Schirner hat in den letzten beiden Jahren keinen unter fünf Punkte rutschen lassen, das weiß ich von Schülern, die sich gerade auf die Abiprüfung vorbereiten. Das spricht doch auch für ihn, oder?«
»Kann, muss aber nicht. Wie ist das eigentlich mit den andern Lehrern? Kommen Sie mit denen auch so gut aus?«, fragte Brandt.
»Es gibt schon Unterschiede, aber wenn man sich bemüht, kann man mit jedem auskommen. Es ist alles eine Frage der Einstellung«, antwortete eine junge Dame forsch, die ganz offenbar großen Wert auf ihr Äußeres legte. Ihre Augen blitzten spöttisch auf, als sie Brandt mit keckem Blick ansah. Sie war das genaue Gegenteil von Kerstin Abele. Ihr Gesicht sah aus, als käme sie gerade von einem Schminkkurs, wo sie Modell gesessen hatte, ihre Kleidung kaufte sie mit Sicherheit nicht bei C&A. Sie saßneben Kerstin Abele auf dem Tisch, die den Kopf zur Seite wandte und ihre Klassenkameradin anschaute. »Ich heiße übrigens Silvia Esslinger.«
»Haben Sie das von Herrn Schirner gelernt?«
»Was?«
»Das mit dem jedem auskommen.«
»Wir haben eine Menge von ihm gelernt. Das war ja das Besondere an ihm, dass er in einem schlechten Schüler nicht gleich einen schlechten Menschen oder Versager gesehen hat, sondern jemanden, der eben zum Beispiel mit Mathe nicht so zurechtkam, dafür aber auf andern Gebieten seine Stärken hatte. Und da wir alle auch Ethik bei ihm hatten, haben wir viel über das Leben und über den Umgang mit andern gelernt. Er war nicht nur ein Lehrer, er war wie ein Vater für uns – was man weiß Gott nicht von jedem Vater behaupten kann.«
»Wie meinen Sie das?«
»Nur so, ist nicht wichtig.«
»Haben Sie Probleme mit Ihren Eltern?«
»Und wenn?«
»Dann war Herr Schirner ja der Richtige, bei dem man sich ausheulen konnte. Wie ein Vater eben. Waren Sie am Ende auch noch per Du mit ihm?«, fragte Eberl ironisch.
»Natürlich nicht«, antwortete Silvia Esslinger. »Aber einige von uns kommen aus einem so genannten guten Elternhaus, wo viel Wert auf Bildung gelegt wird. Und Herr Schirner hat eben geholfen, wo er nur konnte.«
»Er war auch Vertrauenslehrer, wie wir erfahren haben. Was bespricht man denn so mit einem Vertrauenslehrer?«
»Vertrauliche Dinge.« Silvia Esslinger stellte sich spöttisch lächelnd hin und lehnte sich in lasziver Pose an den Tisch. Sie war etwa einssiebzig groß, hatte schulterlanges hellblondes Haar und große braune Augen, die ihr das gewisse Etwas verliehen. »Wie schon gesagt, es gab fast nichts, über das man nicht mit ihm reden konnte. Und wenn wir nicht weiterwussten, er hatte immereine Lösung parat. Er hat sogar einmal im vergangenen Sommer kurz vor den Ferien die ganze Klasse zu sich nach Hause eingeladen, wo wir ein Grillfest veranstalteten.«
»Wie lange haben Sie Herrn Schirner denn schon als … Tutor?«
»Seit der Elf, er war der Klassenlehrer von einigen von uns. Und er sollte uns eigentlich auch bis zum Abi begleiten.«
Jens Sittler reichte Brandt das Blatt Papier mit den Adressen und Telefonnummern der Schüler. Brandt warf einen Blick darauf, nickte, faltete es und steckte es in die Jackentasche.
»Okay, das war’s fürs Erste. Wir werden uns aber ganz sicher noch mit dem einen oder andern von Ihnen unterhalten. Ich denke, Sie können jetzt nach Hause gehen.«
Als sie auf dem Flur waren, klingelte das Handy von Brandt. Bernhard Spitzer.
»Ja?«
»Nur ganz schnell, der Hund ist wieder aufgetaucht. Er war in der Nähe des Tierheims in Langen angebunden. Eine Anwohnerin hat jedoch erst nach zwei Stunden die Besitzer des Tierheims informiert, nachdem sie gemerkt hat, dass niemand den Hund abholen kam. Und weil er eine Hundemarke trägt, haben diese natürlich gleich die Polizei verständigt.«
»Aber sonst geht’s ihm gut?«
»Völlig durchgefroren, ist aber schon wieder zu Hause.«
»Warum hat ihn der Täter dort angebunden?«
»Find’s raus, du leitest die Ermittlungen«, sagte Spitzer. »Ach ja, unsere liebe Frau Staatsanwältin möchte dich unbedingt
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