Tod eines Lehrers
möchte auch Sie fragen, wie alt Sie sind.«
»Achtzehn, ich werde im Mai neunzehn.«
»Also noch nicht hängen geblieben?«
»Doch, in der Zehn, genau wie Kerstin. Aber wir haben uns nicht abgesprochen, das ist einfach so passiert.«
»Wie lange kennen Sie sich schon?«
»Wer, Kerstin und ich?«
»Ja.«
»Seit dem Kindergarten. Wir wohnen in derselben Straße, nur ein paar Häuser auseinander. Unsere Eltern sind auch befreundet, falls Sie das interessiert.«
»Welche Kurse hatten Sie bei Herrn Schirner belegt?«
»Ethik Leistung und Mathe Grund.«
»Und die andern Leistungsfächer?«
»Deutsch und Englisch.«
»Aha, genau wie Ihre Freundin. Demnach haben Sie auch dieselben Lehrer?«
»Irgendwie logisch, oder? Wir machen auch sonst viel gemeinsam, falls Sie das auch interessiert.«
»Und sind Ihre Eltern auch so streng wie die von Frau Abele?«
»Was verstehen Sie unter streng? Unsere Eltern legen eben Wert auf eine gute Ausbildung, doch als streng würde ich meine nicht bezeichnen. Aber was haben meine Eltern mit dem Mord an Herrn Schirner zu tun?«
»Gar nichts, es war nur eine Frage. Ich nehme an, Sie sind mit Herrn Schirner ebenfalls bestens ausgekommen.«
»Klar, wer nicht? Schirner war der Größte«, sagte sie mit einem Augenaufschlag und in einem Ton, der Brandt irritierte und aufhorchen ließ.
»Er war der Größte? Er war doch nur ein Lehrer.«
»Trotzdem war er der Größte«, sagte sie mit gespielter Lässigkeit und veränderte ihre Haltung, indem sie jetzt das rechte über das linke Bein schlug und der Rock kaum noch ihre Scham verhüllte.
»Kann es sein, dass ich da eine Spur Zynismus aus Ihren Worten höre?«
»War’s das?«, sagte sie, ohne seine Frage zu beantworten.
»Ich denke schon. Ihre Adresse und Telefonnummer habe ich ja. Es könnte sein, dass ich mich noch einmal mit Ihnen in Verbindung setze …«
»Warum? Ich hab Ihnen doch schon alles gesagt.«
»Solange ein Mordfall nicht geklärt ist, gibt es immer noch Fragen. Dann hab ich hier noch einen Gregor Auberg, wenn Sie mir den bitte rausschicken würden.«
Nach kaum zwei Stunden hatten Brandt und Eberl die Befragung der Schüler beendet und gingen wieder nach unten.
»Wie ist es bei dir gelaufen?«, fragte er.
»Null. Als hätten die sich alle abgesprochen. Aber vielleicht war Schirner ja tatsächlich so toll, und wir verrennen uns hier in was. Der Mord kann doch auch einen völlig anderen Hintergrund haben, oder?«
»Theoretisch ja, aber mein Bauch sagt mir, dass wir die Lösung hier in der Schule finden. Das ist alles so verdammt glatt, ich kann es nicht beschreiben, aber diese Antworten auf meine Fragen … Ganz gleich ob Lehrer oder Schüler, keiner hat was an Schirner auszusetzen. Doch ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass hier alles eitel Sonnenschein ist. Es ist so verdammt glatt, zu glatt.«
»Womit hast du ein Problem? Dass es noch Schulen gibt, an denen man etwas lernt?«
»Blödsinn! Aber mal ehrlich, kommt dir das alles nicht auch ein bisschen sehr spanisch vor?«
»Schon, aber das muss doch nicht zwangsläufig heißen, dass hier ein Mörder rumläuft. Mir ist klar, dass Schirner einen Feind gehabt haben muss, sonst wäre er nicht so hingerichtet worden. Doch dieser Feind kann auch aus einem völlig anderen Umfeld stammen.«
»Und aus welchem? Schirner hatte angeblich keine Hobbys außer Lesen, mit dem Hund rauszugehen oder an seinem Buch zu schreiben. Wo sollen wir also den bösen Mann suchen, wenn nicht hier?«
»Ich weiß es doch auch nicht«, sagte Nicole Eberl schulterzuckend.
»Siehst du. Außerdem scheinen einige Schüler unter einem gewaltigen Druck zu stehen.«
»An welcher Schule ist das heutzutage nicht so? Das fängt doch schon in der Grundschule an.«
»Nein, das meine ich nicht. Kerstin Abele, die hat gestern auf dem Tisch gesessen und dauernd zu Boden geschaut. Vielleicht erinnerst du dich?«
»Ja.«
»Die hat mir gesagt, dass ihre Eltern ziemlichen Druck machen. Sie hat drei Leistungskurse belegt, obwohl sie in der Zehn schon mal hängen geblieben ist. Und bei ihrer Freundin Silvia Esslinger ist es genau das Gleiche, auch wenn sie’s nichtzugeben will. Nur geht die mit dem Druck offenbar lockerer um.«
»Und?«
»Ich wollt’s dir nur sagen. Die beiden kommen aus sehr guten Elternhäusern.«
»Schön. Aber das bringt uns auch nicht weiter.«
Brandt wollte gerade noch etwas hinzufügen, als ihnen eine der drei Sekretärinnen entgegenkam und ihm einen
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