Tod eines Lehrers
absolut vertraulich.«
»Und Sie versprechen, mich nicht zu erwähnen?«
»Sie können sich drauf verlassen.«
»Raten Sie. Sie haben jedenfalls schon mit ihr gesprochen.«
Brandt überlegte und sagte nach einer Weile: »Frau Denzel?«
»Bingo. Sie sieht ja auch nicht gerade schlecht aus, und sie ist ledig, während die meisten männlichen Kollegen verheiratet sind. Es heißt, sie soll schon mit mehreren was gehabt haben.«
»Schau, schau, es ist also doch nicht alles so perfekt an der Schule, wie man mir anfangs weismachen wollte.«
Anja Russler lachte auf, trank ihre Tasse aus und stellte sie auf den Tisch. »Was glauben Sie, wie viele meiner werten Kollegen und Kolleginnen es mit der ehelichen Treue nicht so ernst nehmen? Man muss nur genau hinschauen, und schon merkt man, dass da was läuft. Doch wir Lehrer sind auch nur Menschen.«
»Aber mit Gerüchten sind doch auch immer Namen verbunden.«
»Sie haben einen Namen, und das muss reichen, denn ich werde einen Teufel tun und jemanden anschwärzen. Die Denzel hatte was mit Schirner, wer noch was mit wem hat – sorry, aber ich verbrenne mir nicht den Mund. Außerdem denke ich, dass es die Angelegenheit eines jeden Einzelnen ist, was er tut, solange der Unterricht nicht darunter leidet. Und bisher kann ich nur sagen, dass ich froh bin, am Georg-Büchner-Gymnasium unterrichten zu dürfen.«
»Wie ist denn so die momentane Stimmung in der Schule? Vor allem unter den Lehrern.«
»Erstaunlich locker, auch wenn die meisten vorgeben, furchtbartraurig zu sein. Einige sind es bestimmt, aber das Gros heuchelt nur.«
»Und Sie?«
»Ich bin nicht so erschüttert, wie ich es vielleicht sein sollte. Ich frage mich vielmehr, wer so etwas tun konnte. Was geht in einem solchen Menschen vor, der einen andern, den er wahrscheinlich gar nicht kennt, einfach so umbringt? Was läuft da verkehrt?«
»Jeder Mordfall ist anders, und hinter jedem steckt ein anderes Motiv … Aber sagen Sie, ist das nicht schwer, von ehemaligen Lehrern mit einem Mal als Kollegin akzeptiert werden zu müssen? Ich meine, Sie waren vor gar nicht allzu langer Zeit noch die Schülerin von Herrn Schirner, und ein paar Jahre später …«
»Nein«, unterbrach sie Brandt, »ich hatte keinerlei Schwierigkeiten, was nicht zuletzt auch an Herrn Schirner lag. Ich hatte auch schon Herrn Teichmann und Frau Engler in der Oberstufe als Lehrer.«
»Seit wann unterrichten Sie dort?«
»Seit vier Jahren. Mit Beginn dieses Schuljahres wurde ich zur Vertrauenslehrerin gewählt, aber ich kämpfe immer noch darum, den Beamtenstatus zu bekommen. Ich will einfach diese Sicherheit haben.«
»Und wie stehen die Chancen?«
»Im Augenblick ganz gut.«
»Was ist eigentlich die Aufgabe einer Vertrauenslehrerin?«, wollte Brandt wissen.
»Die Schüler, in meinem Fall vornehmlich Schülerinnen, kommen mit allen möglichen Problemen zu mir. Stress mit den Eltern, Stress mit Lehrern, Stress mit dem Freund, im schlimmsten Fall, weil eine von ihnen schwanger ist und nicht weiß, was sie machen soll.«
»Gab es so etwas schon einmal? Ich frage nur, weil ich eine vierzehnjährige Tochter habe und für alle Eventualitäten gewappnet sein möchte.«
»Ich hatte gerade kürzlich einen solchen Fall. Siebzehn Jahre alt, hoch begabt, eine der besten Schülerinnen in der Klasse und dazu Eltern, die vor Stolz auf ihre tolle Tochter fast platzen. Ein One-Night-Stand nach einem Discobesuch, und zack, schon hat es peng gemacht. Sie hat abgetrieben, obwohl ich ihr nicht dazu geraten habe, vielleicht, weil ich selbst keine Kinder bekommen kann und mir eigentlich nichts sehnlicher wünsche, als eine Familie zu haben. Ich wollte immer drei Kinder, zwei Mädchen und einen Jungen«, sagte sie mit verklärtem und traurigem Blick zugleich. »Im Nachhinein denke ich aber, es war besser, dass sie sich dazu entschlossen hat. Sie wird in Zukunft jedenfalls besser aufpassen … Sie sollten Ihren Tee trinken, bevor er kalt wird.« Sie deutete auf die noch unberührte Tasse.
»Ah ja, hab ich über meiner Fragerei ganz vergessen. Mit Honig, haben Sie gesagt?«
»Sie können auch Zucker haben, aber ich bevorzuge Honig, weil er einfach gesünder ist.«
Brandt trank den nur noch lauwarmen Tee und nickte anerkennend. »Schmeckt hervorragend. Wie heißt der noch mal?«
»Lapacho. Aber nicht mehr als zwei Tassen pro Tag.«
»Werd ich mir merken. Eine andere Frage – Kerstin Abele und Silvia Esslinger sind doch auch Schülerinnen von Ihnen. Meine
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