Tod eines Lehrers
entweder verheiratet oder so abgehoben, dass ich mich einfach nicht mehr getraut habe. Bei dir war es anders.« Er hielt inne, trank einen Schluck von seinem Wein, sah Natalia an und sagte: »Du brauchst mir jetzt nicht zu antworten, aber was ich dich immer schon mal fragen wollte – hast du damals mit Rudolf … Na ja, du weißt schon.«
»Warum willst du das wissen?«
»Einfach so. Entschuldige, ich will keine Antwort von dir, das liegt schon zu lange zurück.«
»Doch, es ist vielleicht besser, wenn du es weißt. Rudolf warbei mir, wir haben uns unterhalten, aber er hat mich niemals angerührt. Er war dein Freund, und das wird er auch immer bleiben.«
»Danke.«
»Wofür? Dafür, dass ich dir eine Frage beantwortet habe, die du mir schon seit acht Jahren stellen willst? Meinst du, ich habe nicht gemerkt, wie dir diese Frage die ganze Zeit über auf der Seele gebrannt hat? Du hättest mich schon viel früher fragen können.«
»Lass uns das Thema wechseln …«
»Nein, nein, lass mich dir noch etwas sagen. Du bist ein guter Mann, aber du sprichst nie oder nur selten aus, was du wirklich denkst oder fühlst.«
»Das stimmt nicht, ich habe zum Beispiel oft genug gesagt, dass ich mir ein Kind von dir wünsche …«
»Das meine ich nicht. Ich meine es ganz generell. Ich weiß so wenig von dir, weil du dein Inneres verschließt. Du sagst, du liebst mich, und ich glaube dir das auch, sonst hättest du mich nicht aus diesem Hurenhaus geholt, aber manchmal habe ich das Gefühl, als würdest du mir etwas verheimlichen.«
»Schatz, glaub mir, ich verheimliche dir nichts, aber auch rein gar nichts. Ich habe dich vom ersten Moment an geliebt, als ich dich gesehen habe, und daran hat sich nie etwas geändert. Und nachdem du mir gestern eröffnet hast, dass du schwanger bist, du meine Güte, das war das schönste Geschenk, das du mir bereiten konntest. Ich habe schon nicht mehr daran geglaubt.«
»Das weiß ich doch. Aber dein Inneres ist verschlossen, und ich meine das nicht böse, wenn ich sage, dass ich dich nicht wirklich kenne. Warum sprichst du so selten mit mir über das, was dich bewegt? Ich bin deine Frau, und ich denke, zwischen Eheleuten sollte es keine Geheimnisse geben.«
Teichmann senkte den Blick. In ihm rumorte es, er war aufgewühlt von Natalias Worten, die wie Speerspitzen waren, auch wenn ihre Stimme nichts Vorwurfsvolles hatte.
»Geheimnisse, Geheimnisse!«, sagte er lauter als beabsichtigt. »Was für Geheimnisse sollte ich denn haben? Erzählst du mir vielleicht immer alles, was dich bewegt?«
»Warum fühlst du dich auf einmal so angegriffen? Habe ich etwa einen wunden Punkt getroffen? Schatz …«
»Lass mich! Ich hatte mir den Abend mit dir so schön vorgestellt, und jetzt … Das ist fast schon wieder wie gestern Abend im Restaurant. Hat das was mit deiner Schwangerschaft zu tun?«
»Was habe ich falsch gemacht?«, fragte sie und griff nach seiner Hand, doch er zog sie zurück.
»Nichts, gar nichts. Ich hatte nur nicht vor, heute Abend mein Seelenleben vor dir auszubreiten. Wir harmonieren doch prächtig, oder bilde ich mir das nur ein? Ich habe alles für dich getan, was ich überhaupt nur tun konnte, ich habe dich aus den Fängen deines Zuhälters befreit, ich habe dir geholfen, diese Praxis aufzumachen, ich …«
»Wofür ich dir auch zutiefst dankbar bin. Aber darum geht es doch gar nicht. Und jetzt sei nicht mehr sauer, ich wollte dich nicht verletzen. Verzeihst du mir?«, sagte sie und sah ihn liebevoll mit diesem unwiderstehlichen Blick an. Er konnte ihr nie lange böse sein, sie hatte eine Art, die ihn praktisch willenlos machte. Nur heute funktionierte das nicht so wie sonst. Er fühlte sich bloßgestellt, angegriffen, und er konnte nicht einmal genau sagen, warum. Vielleicht, weil er schon seit seiner Kindheit Fragen hasste, die seine Person betrafen. Vielleicht, weil in seiner Familie nie offen über persönliche Dinge gesprochen wurde. Vielleicht auch, weil er nie gelernt hatte, sich wirklich jemandem zu öffnen, nicht einmal Natalia. Er wurde sich seiner Unzulänglichkeiten in diesem Moment überdeutlich bewusst, und auch dies hasste er. Natalia war seine Frau, und außer Schirner gab es niemanden, der mehr aus seinem Leben wusste. Aber sie wusste nicht alles, und er würde ihr auch nie alles erzählen. Geheimnisse. Sie hatte den Nagel auf den Kopf getroffen, und jetztschmerzte es. Dennoch versuchte er gute Miene zum bösen Spiel zu machen, denn als solches empfand er es,
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