Tod eines Lehrers
und rang sich ein Lächeln ab.
»Ist schon gut. Es war nur nicht der passende Moment, über so was zu reden. Ich verspreche dir hoch und heilig, dass ich dir bei Gelegenheit selbst meine dunkelsten Seiten offenbaren werde«, sagte er.
»Wirklich auch die dunkelsten?«, fragte sie ernst, weil sie immer sicherer wurde, dass ihre Ahnungen sie nicht trogen und sie ihn an einer Stelle erwischt hatte, wo es besonders wehtat. Was immer er ihr verheimlichte, es konnte nichts Gutes sein. Vielleicht eine schwere Bürde, die ihn fast erdrückte, was seine vorhängenden Schultern und auch die Albträume erklären würde, aus denen er nachts immer häufiger hochschreckte. Aber was ist das für eine Bürde?, fragte sie sich. Sie versuchte unauffällig, in seinem Gesicht seine Gedanken abzulesen, sie sah seine Aura, die diffus und verschwommen war.
Er unterbrach sie in ihren Gedanken und sagte, ohne sie anzusehen: »Auch die allerdunkelsten. Aber nicht jetzt.«
Natalia rang sich ein Lächeln ab. Sosehr sie auch das Innenleben ihres Mannes mehr interessierte denn je, sie würde nicht weiterbohren. Zumindest heute nicht. Stattdessen sagte sie mit besänftigender Stimme: »Ach komm, ich kann nicht glauben, dass du auch nur eine dunkle Seite hast. Das Essen schmeckt übrigens hervorragend. Du hast es diesmal etwas anders gewürzt, oder?«, wechselte sie elegant das Thema.
»Nur ein klitzekleines bisschen. Ich verrate aber nicht, was es ist, es ist nämlich ein – Geheimnis.« Dabei betonte er das letzte Wort.
»Okay, dann behalt dein Geheimnis für dich«, erwiderte sie und füllte sich noch eine kleine Portion nach.
In der folgenden Stunde unterhielten sie sich über die Zukunft, über das werdende Leben in Natalias Bauch, tranken jeder noch ein Glas Wein, bis Teichmann zur Uhr schaute und sagte: »So,ich mach mich dann mal mit Dina auf den Weg. Und du lässt alles stehen, ich räum auf, wenn wir wieder hier sind.«
»Ich kann doch …«
»Nein, kannst du nicht. Du wirst dich ab sofort schonen, zumindest in deiner ohnehin knapp bemessenen Freizeit. Du nimmst jetzt ein Bad, und wenn du fertig bist, sind wir auch wieder zurück. Komm, Dina, eine Runde marschieren.«
»Ich dusch nur schnell, denn eigentlich bin ich todmüde. Wärst du sehr sauer, wenn ich schon schlafen würde, wenn du wiederkommst?«
»Wenn du nicht sauer bist, wenn ich nachher noch ein bisschen lese.«
Teichmann zog sich einen Pullover und den dicken Kaschmirmantel über, schlüpfte in seine fellgefütterten Winterstiefel und leinte Dina an. Um zehn nach neun ging er aus dem Haus und nahm den üblichen Weg. Auf dem ersten Teil der Strecke ließ er das Gespräch mit Natalia noch einmal an seinem inneren Auge vorbeiziehen und sagte sich, dass es endgültig an der Zeit war, Ordnung in seinem Leben zu schaffen. Wenn es überhaupt einen Zeitpunkt gab, dies zu tun, dann war er jetzt gekommen. Er musste sein Leben ändern, alles musste anders werden. Und jetzt, da Rudolf tot war, konnte es das auch. Sie hatte ihn durchschaut, als wäre er ein gläserner Mensch. Vielleicht wusste sie sogar, was mit ihm los war, konnte sie doch Dinge sehen, die andern Menschen verborgen blieben, und das machte ihm Angst. Er mochte sich nicht ausmalen, was passieren würde, sollte sie jemals hinter sein Geheimnis kommen. Er war froh, an der frischen Luft zu sein, allein mit sich, Dina und der Nacht, dem Mondschein und der Stille, die nur durch das unheimliche Knacken einiger Äste, die dem Frost nicht länger standhielten, durchbrochen wurde. Er wollte bereits kehrtmachen, als plötzlich wie aus dem Nichts eine Gestalt vor ihnen auftauchte. Teichmann zuckte zusammen. Er hatte keine Schritte gehört. Und Dina nahm sowieso nie Notiz von andern Menschen, das Einzige, wassie eventuell ablenken konnte, war ein vorbeihoppelnder Hase. Eberhard Teichmann hatte einen Kloß im Hals. Die dunkle Gestalt, die mit der Nacht fast völlig verschmolz, kam noch näher. Schließlich erkannte er die Person, und die Anspannung wich augenblicklich.
»Mein Gott, hast du mir einen Schrecken eingejagt«, sagte er. »Was machst du denn hier?«
»Ich wollte nur mal die Stelle sehen, du weißt schon …«
»Da ist nichts mehr zu sehen. Als hätte hier nie ein Verbrechen stattgefunden. Na ja, was soll’s, wir können eh nichts mehr ändern.«
»Ich kann mir vorstellen, wie du dich fühlst, schließlich war Rudolf dein bester Freund. Es ist eine Schande, wie verroht die Menschen doch geworden sind. Da muss
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