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Tod eines Lehrers

Tod eines Lehrers

Titel: Tod eines Lehrers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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sich mit Tränen, sie ballte die Fäuste, aber sie behielt noch immer die Kontrolle über sich. Brandt setzte sich neben sie und legte einen Arm um ihre Schulter, etwas, das er vorher noch nie im Dienst getan hatte, doch er hatte das Gefühl, er müsste es jetzt tun, weil die Stärke, die sie zeigte, nur erzwungen war. Sie ließ es sich gefallen, legte ihren Kopf an seine Schulter, wischte sich die Tränen mit dem Ärmel ab, stand auf, holte ein Taschentuch und putzte sich die Nase.
    »Besser? Oder soll ich einen Arzt holen?«, fragte Brandt.
    Natalia lächelte nur gequält, als sie erwiderte: »Ich bin doch selber Ärztin. Ich habe genügend Medikamente unten in meiner Praxis, aber ich brauche nichts.«
    »Entschuldigen Sie, ich habe das schon wieder vergessen, aber …«
    »Macht nichts. Ja, Eberhard war aufgedreht. Ich habe ihm gestern gesagt, dass er Vater wird. Er hatte sich, seit wir zusammen sind, nichts sehnlicher gewünscht, als Vater zu werden. Er hat sich so gefreut. Sie hätten ihn sehen sollen, als ich es ihm gesagt habe. Und jetzt … Dieses Leben ist nicht gerecht. Ich hatte gedacht, der Tod von Rudolf wäre nur ein ganz normaler Mord, aber jetzt auch noch Eberhard. Warum jetzt auch noch er? Sie hatten doch keine Feinde, sie waren beliebt, angesehen und … Ich habe keine Erklärung für das alles. Sie vielleicht?«
    »Nein, sonst würde ich Ihnen diese Fragen nicht stellen müssen. Hat Ihr Mann ein eigenes Arbeitszimmer?«
    »Ja, natürlich. Wollen Sie es sehen?«
    »Wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
    »Es ist unter dem Dach, er wollte es so. Wissen Sie, Eberhard war der gutmütigste und uneigennützigste Mensch, den man sich vorstellen kann«, sagte sie, und da war wieder dieser seltsame Unterton, dem er aber jetzt, mitten in der Nacht, keine große Bedeutung beimaß, obwohl er ihn registrierte. »Er hätte keinerFliege etwas zuleide tun können. Als wir geheiratet haben, hat er mir das Erdgeschoss überlassen, damit ich dort meine Praxis einrichten konnte. Vorher hat er ganz allein in dem Haus gelebt und unten sein Arbeitszimmer gehabt.«
    Natalia erhob sich und ging vor ihm die Stufen hinauf und öffnete eine der beiden Türen, die sich im Dachgeschoss befanden. Sie betätigte den Lichtschalter. Brandt stand in einem gut dreißig Quadratmeter großen, gemütlich eingerichteten Raum. Ein wuchtiger Schreibtisch, ein ebenso wuchtiger Ledersessel, ein altes Radio und Unmengen an Büchern. Es war sehr kalt, fast eisig.
    »Hat Ihr Mann sich oft hier oben aufgehalten?«
    »Das kann ich nicht sagen, weil ich nicht weiß, was er gemacht hat, wenn ich noch Sprechstunde hatte. Aber abends war er zweioder dreimal in der Woche für eine oder zwei Stunden hier. Warum fragen Sie?«
    »Weil es so kalt ist. Die Heizung ist nicht an.«
    »Dann wird er wohl heute nicht …« Sie hielt wieder inne und schluckte schwer, als sie ihre Finger sanft über die Buchrücken gleiten ließ. »Bücher waren ein großer Teil seines Lebens. Ein Leben ohne Bücher war für ihn nicht vorstellbar. Ich kenne niemanden, der belesener war als Eberhard.«
    »Herr Schirner hatte auch viele Bücher«, sagte Brandt.
    »Sie haben mich doch vorhin nach Interessen der beiden gefragt. Ich nehme an, es waren die Bücher. Darüber werden sie sich wohl oft unterhalten haben.«
    »Einen PC hatte Ihr Mann nicht?«, fragte Brandt, ohne zu wissen, warum er diese Frage stellte. Aber hatte heute nicht jeder einen PC, selbst seine beiden Töchter hatten einen und kannten sich besser damit aus, als er es je würde.
    »Doch, aber nur ein Notebook. Er hat es zum Arbeiten benutzt, aber er war, was Computer angeht, sehr konservativ. Heutzutage tauscht man Nachrichten meist per E-Mail aus, doch davon hielt er nichts. Briefe hat er zum Beispiel grundsätzlich mit der Handgeschrieben, weil er Wert auf eine persönliche Note legte. Allerdings hat er nicht viele Briefe geschrieben, weil es nicht viele Menschen gab, denen er hätte schreiben können.«
    »Hatte Ihr Mann auch kein Handy?«
    »Doch, das war sogar sein ständiger Begleiter. Das Handy war für ihn ein Stück Freiheit.«
    »Wie sah denn sein Tagesablauf so aus?«, wollte Brandt wissen, während er um den Schreibtisch herumging und einen Blick auf die Papiere warf, die jedoch, wie er sofort feststellte, ausschließlich mit der Schule zu tun hatten.
    »Eberhard war ein Gewohnheitsmensch. Er ist jeden Morgen um sechs aufgestanden, ist mit Dina raus, hat Brötchen und die Zeitung geholt, wir haben

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