Tod eines Lehrers
Anblick werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Und es kann ja nur derselbe Mann sein, der auch Herrn Schirner auf dem Gewissen hat. Wurde er eigentlich genauso zugerichtet?«
»Ja, aber behalten Sie das bitte für sich. Seine Familie weiß nichts davon, und die Öffentlichkeit darf es aus ermittlungstaktischen Gründen auch nicht erfahren.«
»Ich werde schweigen wie ein Grab.«
»Hatten Sie keine Angst, dass Ihnen …«
»Nein«, unterbrach sie ihn, »ich bin kein ängstlicher Typ. Ich wusste von dem Moment an, als Eberhard und Dina nicht da waren, dass etwas passiert sein musste. Und so war es dann auch.«
»Ist Ihr Mann jeden Abend um die gleiche Zeit mit dem Hund rausgegangen?«
»Ja, er hatte eine feste Zeit.«
»Und Sie haben sofort festgestellt, dass Ihr Mann tot ist?«
»Sie haben wahrscheinlich das Schild nicht gelesen, aber ich bin Ärztin. Ich weiß, wann jemand tot ist.«
»Entschuldigen Sie die Frage, aber Ihrem Akzent nach zu urteilen kommen Sie nicht aus Deutschland.«
»Ich bin Weißrussin, habe aber deutsche Vorfahren, genauer gesagt, mein Großvater war Deutscher, der in russische Kriegsgefangenschaft geriet und nach seiner Entlassung 1946 meine Großmutter kennen gelernt hat. Wir haben zu Hause sowohl deutsch als auch russisch gesprochen. Und da Sie wohl ohnehin meine Vita überprüfen werden, ich bin vor fast neun Jahren nach Deutschland gekommen, weil man mir versprochen hatte, hier eine Stelle als Haushälterin zu bekommen. Aber statt in einem Haushalt, bin ich in einem Bordell gelandet. Eberhard hat mich dort rausgeholt, ich habe ein Zusatzstudium absolviert, damit ich als Ärztin auch in Deutschland praktizieren darf, und seit ein paar Jahren habe ich meine eigene Praxis. In Weißrussland gibt es viele Ärzte, aber die wenigsten von ihnen können von ihrem Beruf leben. Und ich wollte nur weg von dort, ich wollte nicht mehr in diesem Elend leben, und so bin ich erst mal in einem Bordell gelandet. Sie sehen, mein Mann war etwas Besonderes, denn es gibt nur ganz, ganz wenige, die eine Hure heiraten würden. Er hat es getan, weil er mich geliebt hat«, sagte sie mit emotionsloser Stimme und doch einem Unterton, der Brandt irritierte.
»Das ist eine interessante Geschichte. Trotzdem muss ich Ihnen jetzt ein paar Fragen stellen, deren Beantwortung für mich sehr wichtig ist. Fühlen Sie sich dazu in der Lage, oder soll ich lieber im Laufe des Vormittags noch mal wiederkommen?«
»Nein, nein, fragen Sie ruhig, ich bin es gewohnt, mit Schmerz und Leid umzugehen.«
»Wie meinen Sie das?«
»Das ist nicht wichtig, es hat nur etwas mit meinem Leben zu tun. Also, was wollen Sie wissen?«
»Ihr Mann und Herr Schirner waren doch beste Freunde. Ich muss davon ausgehen, dass der Mord an Ihrem Mann in direktem Zusammenhang mit dem Mord an Herrn Schirner steht. Können Sie mir etwas über die Freundschaft der beiden Männer sagen?«
Natalia Teichmann überlegte kurz, bevor sie antwortete: »Sie waren Freunde, seit zwanzig Jahren. Die beiden kannten sich schon lange bevor ich nach Deutschland kam. Eberhard und ich sind seit acht Jahren verheiratet.«
»Was haben Ihr Mann und Herr Schirner so gemacht, ich meine, unter einer Freundschaft verstehe ich auch, dass man Zeiten hat, wo man sich trifft, sich unterhält, etwas unternimmt … Was haben sie gemacht?«
»Sie haben eigentlich gar nicht so viel unternommen. Rudolf war oft hier und umgekehrt und … Nein, sie sind nicht zusammen in Urlaub gefahren, wenn Sie das meinen. Sie waren auch nicht in einem Verein, es war eine eher intellektuelle Freundschaft.«
»Aber sie müssen doch gemeinsame Interessen gehabt haben.«
Sie dachte angestrengt nach, schüttelte den Kopf und lachte leise auf. »Ich weiß es nicht. Ich weiß nach acht Jahren Ehe nicht, welche gemeinsamen Interessen mein Mann und Rudolf gehabt haben. Ist das nicht komisch? Ich weiß nicht, was ihre Interessen waren. Ich weiß nur, dass sie Freunde waren, mehr nicht.«
»Gut. Jetzt kommt die Frage, die ich bereits Frau Schirner gestellt habe. Hat Ihr Mann sich in letzter Zeit, vor allem in den letzten Tagen, auffällig oder merkwürdig verhalten? Hatte er vor irgendetwas Angst, gab es anonyme Anrufe oder Drohungen?«
Natalia schüttelte den Kopf. »Nein, das hätte ich sofort gemerkt. Ganz im Gegenteil, seit gestern war Eberhard völlig aufgedreht,obwohl gerade sein bester Freund ermordet worden war. Ich habe ihm nämlich mitgeteilt, dass er …« Sie stockte, ihre Augen füllten
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