Tod eines Lehrers
mich?«
»Wir sind gerade dabei, Teichmann zuzumachen. Ich hätte dich sowieso gleich angerufen. Also, bei ihm wurde sechsundsiebzigmal zugestochen, was auch nicht gerade wenig ist. Aber diesmal sieht’s ziemlich eindeutig aus – du hast es mit zwei Tätern zu tun. Die meisten Stichkanäle verlaufen von unten nach oben und gerade. Allerdings sind auch einige dabei, die seitlich von oben nach unten verlaufen …«
»Drei Täter?«
»Möglich, aber ich halt das eher für ausgeschlossen. Doch zwei könnte hinkommen, auch wenn offensichtlich mit der gleichen Klinge zugestochen wurde. Willst du auch wissen, was er zu Abend gegessen hat?«, fragte sie grinsend, was er an ihrer Stimme hörte.
»Spaghetti Bolognese und Rotwein«, antwortete Brandt.
»He, woher weißt du das denn? Bist du unter die Hellseher gegangen?«
»Ich war heut Nacht bei seiner Frau, der Tisch war noch nicht abgeräumt. Sonst noch etwas, das ich wissen müsste?«
»Nein. Körperlich war Teichmann topfit, der hätte hundert werden können. Um welche Zeit treffen wir uns heute Abend?«
»Acht?«
»Acht is okay. Und wo?«
»Ich ruf dich nachher noch mal an«, sagte Brandt ausweichend, als er sah, wie Spitzer das Gespräch neugierig verfolgte, zu neugierig.
»Verstehe, du kannst jetzt nicht frei sprechen. Aber ich will keine Ausreden hören, warum es nicht klappt. Ich brauch ein bisschen Abwechslung von meinem drögen Alltag im Keller.«
»Bis nachher und danke.«
Brandt legte auf und sagte zu Spitzer: »Vermutlich haben wir’s mit zwei Tätern zu tun.«
»Du hast doch aber eben was von drei gesagt.«
»Das war ein Missverständnis. Andrea meinte, die Stichkanäle würden auf zwei Täter hindeuten. Damit wird die Sache richtig spannend.«
Brandt und Spitzer ergingen sich in Spekulationen, bis der junge Mann kam und Brandt das gewünschte Foto reichte.
»Ist das so in Ordnung?«, fragte er.
»Spitze. Und die beiden Kopien der Videos machen Sie mir noch?«
»Wird gleich erledigt.«
Brandt sah sich das Foto in aller Ruhe an. Das Mädchen war sehr hübsch, hatte lange blonde Haare, aber es wirkte, je länger er auf das Foto sah, immer trauriger. Ein trauriges Mädchen, das er am liebsten in den Arm genommen und getröstet hätte. Er wollte sie finden und mit ihr sprechen und erfahren, wie dieses Video zustande gekommen war. Er stand auf und verließ kurz nach dem jungen Mann das Büro. Von unterwegs rief er noch einmal Andrea Sievers an.
»Das ging vorhin nicht so gut, mein Chef hat schon ganz große Ohren gekriegt. Wo treffen wir uns?«
»Ich dachte, du würdest einen Vorschlag machen, angeblichkennst du doch so gute Restaurants in Offenbach. Oder wollen wir doch lieber zu meinem Portugiesen in Sachsenhausen gehen?«
»Was hältst du von jugoslawisch?«
»Du bist der Mann und bestimmst.«
»Tja, weiß nicht«, sagte er und ärgerte sich über seine Unentschlossenheit, seine mangelnde Spontaneität, ein Problem, das er Frauen gegenüber hatte, seit er denken konnte. »Ich war ehrlich gesagt noch nie portugiesisch essen. Und wenn das Essen dort wirklich so gut ist …«
»Ist es«, erwiderte sie schnell und übernahm damit die Initiative und ihm die Entscheidung ab. »Am besten, wir treffen uns vor meiner Wohnung, du hast ja meine Adresse. Bis dann, und ich freu mich.«
Brandt lächelte und rief gleich darauf seine Eltern an. Seine Mutter war am Apparat. Er fragte, ob Sarah und Michelle heute bei ihnen übernachten und auch morgen bei ihnen bleiben könnten. Sie hatte nichts dagegen, sie hatte nie etwas dagegen, ihre Enkeltöchter bei sich zu haben. Als sie fragte, was er vorhabe, antwortete er, er müsse bis spät in die Nacht und auch morgen arbeiten, wobei Letzteres nicht einmal gelogen war. Aber er schaue zwischen sechs und sieben mal kurz vorbei und wünsche den Mädchen wenigstens eine gute Nacht. Er scheute sich davor, seiner Mutter die Wahrheit zu sagen, konnte aber nicht begründen, warum. Vielleicht wollte er vermeiden, mit Fragen gelöchert zu werden, wer die Neue denn sei, ob sie hübsch sei, ob sie Kinder möge, ob sie vom Alter her zu ihm passe, ob, ob, ob …Er kannte seine Mutter und ihre bohrenden Fragen und Ermahnungen, und er wollte erst einmal mit sich und seinen Gefühlen klarkommen, bevor er etwas sagte. Und da war auch noch seine Ex, und auch wenn seit der Scheidung scheinbar schon eine halbe Ewigkeit vergangen war, so war sie trotzdem in manchen Momenten noch immer gegenwärtig. Er erinnerte sich gern an die
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