Tod eines Maechtigen
allen Orten der Welt der sicherste zu sein. Deshalb bewahrte Malesevic alle ihm wichtigen Dinge dort auf: seine Scheidungsunterlagen, kompromittierende Polaroid-Fotos des sehr erregt aussehenden Bürgermeisters von Wakington, eine Kopie seines Lieblingsschuldscheines und andere Kuriositäten.
Wenn er so etwas wie ein Gewissen besessen hätte, dann hätte John Malesevic es sicher ebenfalls im Kühlschrank gelagert, damit es nicht verderben konnte. Doch solche Gefühlsregungen waren ihm fremd. In seinem Job konnte so etwas wie ein Gewissen nur hinderlich sein.
Nun, genau genommen war es kein richtiger Beruf, dem er nachging, mehr eine Berufung. Hätte er seine Aufgabe beschreiben müssen, so hätte er es mit den Worten getan: »Ich versuche alles Geld der Stadt an einem Punkt zu konzentrieren«. Und dieser Punkt war sein Kühlschrank.
Seit nunmehr fünf Jahren war John Malesevic damit beschäftigt, durch Betrug, Erpressung und finstere Intrigen die Reichen und Schönen von Wakington um Geld und Verstand zu bringen. Heute erst hatte er dem Sohn des Immobilienhais Charles Mayors eine langjährige Gefängnisstrafe wegen Drogenhandels erspart. Wahrscheinlich hätte Mayors ihm den riesigen Batzen Schweigegeld niemals bezahlt, wenn ihm bekannt gewesen wäre, von wem sein Sohn Thomas mit dem weißen Stoff beliefert worden war ...
Vergnügt warf Malesevic die Tür des Kühlschranks zu, der ebenfalls ein großzügiges Geschenk eines »Kunden« war. Wie auch der Rest seiner Inneneinrichtung: die Eichenstühle, sein Ledersessel, der übermäßig breite Schreibtisch und nicht zu vergessen der vergoldete Ventilator. Dieses Prachtstück war hinter seinem Desktop in die Außenwand eingelassen und hatte einen Durchmesser von rund einem Meter. Er war die meiste Zeit des Jahres ausgeschaltet, denn sein Zweck bestand in der Aufbesserung von Malesevic' Image, nicht im Zuführen von frischer Luft.
Hätte er sich in diesem Moment seinem Schmuckstück zugewandt, so wäre ihm ein kleines Pelzknäuel aufgefallen, das sich auf ledrigen Schwingen durch die Lamellen des Ventilators schwang und kurz vor dem Schreibtisch auf dem Boden landete. Doch Malesevic wurde erst darauf aufmerksam, als hinter ihm eine Stimme laut wurde.
»Vermehrt sich schmutziges Geld, wenn es kühl gelagert wird?«
Malesevic fuhr herum. Der Ausdruck in seinem Gesicht zeigte eine wilde Mischung aus Wut, Entsetzen und purem Unverständnis. Sein Gegenüber lachte hell auf.
»Ein Königreich für eine Polaroidkamera! Wenn die Welt da draußen Sie so sehen könnte, dann würde sich wohl niemand mehr von Ihnen erpressen lassen.«
John Malesevic gewann langsam wieder an Fassung und versuchte die in Sekundenschnelle auf ihn eingestürzten Eindrücke zu verarbeiten. Vor ihm stand eine Frau, schätzungsweise Mitte zwanzig, die strohblonden Haare zu einer Stoppelfrisur geschoren. Sie trug eine lange schwarze Kutte und passende Stiefel, die mit silbernen Spangen verziert waren. Alles in allem hätte er sie trotz der ungewöhnlichen Kleidung für eine attraktive Frau gehalten, wenn ihr perfides Lächeln dieses Gesamtbild nicht empfindlich gestört hätte .
»Wie kommen Sie hier herein?« fragte Malesevic. »Alle Türen sind verschlossen, die Fenster viel zu hoch über der Erde. Fliegen können Sie jawohl kaum, oder?«
Ihr Lächeln wurde um eine weitere Nuance rätselhafter. »Nicht wie ich hereingekommen bin, ist wichtig, sondern wie Sie wieder her-auskommen wollen .«
Malesevic' Verstand versagte ihm die Lösung dieses Geheimnisses und zauberte stattdessen einen noch verwirrteren Ausdruck auf sein Gesicht.
»Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz ...«, stammelte er. Die Kontrolle über diese Situation schien ihm vollends zu entgleiten, obwohl er nicht hätte sagen können, warum er sich so hilflos fühlte.
Statt einer Antwort griff die seltsame Frau in die Innentasche ihres Mantels und förderte ein kleines Etwas zu Tage, das Malesevic seltsam vertraut vorkam.
»Das sollte es auch«, antwortete die Unheimliche auf seine Gedanken und streckte ihm das Bündel entgegen. Es war eine Stoffpuppe, eine perfekte Nachbildung von Malesevic, mit langen schwarzen, zum Zopf gebundenen Wollhaaren, eingehüllt in einen dunklen Nadelstreifenanzug. Nicht einmal die goldene Krawattennadel fehlte.
»Hübsch, oder? Aber das ist noch nicht alles .«
Erneut glitt die Hand der Unbekannten in das Innenfutter des Mantels und zog eine silberne Schere daraus hervor. Ihr Lächeln verkam zu einem
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