Tod eines Maechtigen
eisigen Grinsen. »Jetzt wird es ernst, Malesevic! Passen Sie gut auf, ich führe das nur einmal vor.«
Mit diesen Worten schob sie ein Ohr der Puppe zwischen die Klingen der Schere und drückte langsam zu. Malesevic schrie entsetzt auf und griff sich mit einer Hand an sein linkes Ohr. Besser gesagt dorthin, wo bis eben noch sein Ohr gesessen hatte. Jetzt rann ihm lediglich ein Schwall warmen Blutes durch die Finger. Völlig benommen von taubem Schmerz und Unverständnis pendelte sein Blick zwischen der rotgetünchten Handfläche und seiner Peinigerin hin und her.
»Sie fragen sich nach dem Warum, oder? Nun, lassen Sie es mich erklären. Im Grunde genommen ist es ganz einfach: Sie haben sich in all den Jahren innerhalb Ihrer Grenzen bewegt, und daher haben wir Sie toleriert. Doch jetzt haben Sie es gewagt, daraus hervorzubrechen. Das war nicht sehr klug, Malesevic! Ich bin hier, um Sie in die Schranken zu weisen.«
»Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht folgen«, wimmerte Malesevic.
Die blonde Frau schüttelte den Kopf. »O John, Sie sind so dumm! Sie wissen nichts über diese Welt, nichts über die wirklichen Herrscher, die Geschöpfe der Nacht. Sie fühlen sich sicher in ihren kleinen betrügerischen Phantasien inmitten von Erpressung, Lügen und Intrigen. Aber Sie sind zu weit gegangen, haben sich mit den Falschen angelegt. Sie hätten die Finger von Charles Mayors lassen sollen. Er steht weit über Ihnen, Malesevic.«
John Malesevic' Gesicht war zu entnehmen, daß er wenigstens versuchte, die Worte der Unbekannten zu verstehen, wenngleich er vom eigentlichen Begreifen meilenweit entfernt war. Aber das war wohl auch nicht mehr wichtig. Malesevic hatte sich - unbewußt zwar, aber deshalb nicht weniger tödlich - am Falschen vergriffen und würde jetzt die Präsenz einer Macht zu spüren bekommen, der er nichts entgegenzusetzen hatte.
Der Versuch eines hoffnungsvollen Lächelns stahl sich über sein Antlitz, als Malesevic sah, daß die Unheimliche ihre Schere wieder in der Manteltasche verstaute.
Doch er hatte diese Geste völlig falsch interpretiert. Die Blonde legte nach kurzem Zögern einen der zahlreichen Hebel auf dem Schaltpult des Schreibtischs um. Mit einem leisen Brummen begann sich der Ventilator hinter ihr zu drehen, erst langsam, dann immer schneller werdend, bis seine Blätter schließlich eine flirrende Scheibe bildeten.
Mit einem letzten mitleidigen Blick auf Malesevic schob die Vampirin sein Puppenebenbild mit den Beinen voran in den Ventilator. Das Surren des Lüfters vermischte sich mit dem Geräusch splitternder Knochen .
© Dirk Görner, Teichstr. 6, 01454 Wachau
ENDE
Das »Heilige Land«
Grenzgänge zwischen Mythen und Wirklichkeit
Im vorliegenden Roman verlagert sich die Handlung unserer Serie nach Jerusalem und ins sogenannte Heilige Land (dieser Begriff meint nicht allein das heutige Israel, sondern auch Teile der benachbarten Länder, darunter etwa den zu Ägypten gehörenden Sinai).
Obwohl Israel uns heutzutage kaum noch als fernes Land gelten kann (schließlich ist die Welt längst schon zum Dorf geworden), muß dem Mitteleuropäer vieles dort fremd und bisweilen unverständlich vorkommen. Das mag zum einen daran liegen, daß im Heiligen Land verschiedene Kulturen und Religionen aufeinander treffen, und zum anderen an der langen und höchst wechselvollen Geschichte dieser Region, in der Mythen, Mystik und Wirklichkeit eine kaum trennbare Verbindung eingegangen sind.
Da vor allem Jerusalem zum Teil auch in den kommenden Bänden Schauplatz der Geschichte Lilith Edens bleiben wird, sollen nachfolgend einige Informationen über die heilige Stadt Erwähnung finden. Sie erheben allerdings weder Anspruch auf Vollständigkeit, noch sind sie zum Verständnis der Romane unabdingbar.
Ferner werden verschiedene Begriffe aus dem Judentum erläutert, die im Romantext nicht in der notwendigen Ausführlichkeit behandelt werden konnten, ohne den Lesefluß zu stören.
Jerusalem ist eine der ältesten Städte der Erde. Die erste bekannte Ansiedlung entstand um 3500 v. Chr. bei der Gihon-Quelle am Rande der Wüste von Judäa. Um 1000 v. Chr. bemächtigte sich König David der Stadt, nannte sie Yerushalayim und machte sie zur Hauptstadt der Reiche Judäa und Israel. In der Folgezeit wurde Jerusalem ein ums andere Mal umkämpft und geriet unter wechselnde Herrschaft.
Kriege kennzeichnen die gesamte Geschichte Jerusalems. Herausragend sind dabei die vom Abendland ausgehenden Kreuzzüge, die im
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