Tod Eines Mäzens
brechen, die sie langsam kaute. Das Flora hatte sich immer auf sehr teigige Brötchen spezialisiert. Was wie Körner obendrauf aussah, erwies sich für gewöhnlich als Dreck.
Nachdem ich mein Sauerampferblatt gekaut und geschluckt hatte, um Zeit zum Nachdenken zu haben, wies ich Junia darauf hin, dass, falls Mama es geschafft hatte, jede Woche ein paar Kupfermünzen vom Haushaltsgeld abzuknapsen, es kaum sehr viel sein konnte. Sie hatte ohne jede Hilfe sieben Kinder großgezogen, und selbst nachdem wir aus dem Haus waren, ließ sie sich dazu hinreißen, den schwächsten und hoffnungslosesten ihrer Nachkommen auszuhelfen. Unser ältester Bruder Festus hatte das Vorbild abgegeben, alles an sich zu raffen, bevor er in Judäa gefallen war. Ich kümmerte mich finanziell um seine Tochter, aber die verschiedenen Enkelkinder mussten eingekleidet, ernährt und in manchen Fällen von ihrer hingebungsvollen Großmutter durch die Grundschule gebracht werden. Sie hatte zwei Brüder (drei, wenn man den dazurechnete, der vernünftigerweise abgehauen war). Von ihnen schnorrte sie Landgemüse, aber sonst bot unsere Familie wenig Möglichkeiten, sie für ihre Großzügigkeit zu entschädigen. Von Papa bekam sie eine kleine Rente. Ich hatte stets ihre Miete gezahlt.
Junia kam wieder nach draußen und flüsterte mir eine enorme Summe zu, auf die sich ihrer Meinung nach die Ersparnisse unserer Mutter beliefen. Ich pfiff. »Wie hat sie die zusammengekriegt?«
Andererseits hatte Mama immer zäh an allem festgehalten. Sie hatte mich mal auf Kaution aus dem Gefängnis geholt, daher wusste ich, dass sie irgendwie auf Geld zurückgreifen konnte. Ich stellte mir vor, dass sie es unter der Matratze versteckte, wie alte Frauen das zu tun pflegen, damit Einbrecher es leichter finden.
»Was hat Anacrites mit dem Geld gemacht, Junia?«, fragte Helena besorgt.
»Er hat es auf die Bank gebracht, wo er Kunde ist.«
»Was – das Goldene Pferd? Die Aurelianische von Chrysippus?« Jetzt war ich entsetzt. Mir war es egal, wohin Anacrites sein Geld verschob, aber über dem Goldenen Pferd hingen genug Fragen, um jeden anderen zu veranlassen, sich davon fern zu halten. »Hat Anacrites Mama erzählt, dass der Besitzer vor kurzem unter verdächtigen Umständen tot aufgefunden wurde und dass es Hinweise auf unredliche Praktiken gibt?«
»Oh, Ju-no!«, stöhnte meine Schwester laut. »Tja, damit steckt Mutter in ernsten Schwierigkeiten! Ich muss es ihr sofort sagen. Sie wird völlig niedergeschmettert sein!«
»Bring es ihr schonend bei«, warnte ich. »Die Bank ist absolut solvent, soviel ich weiß. Anacrites hat mir gegenüber erwähnt, dass er sein Geld angesichts dieser Probleme abheben wird, aber das bleibt unter uns. Ich nehme an, wenn er seine eigenen Gelder abhebt, wird er dasselbe mit Mamas tun.«
Es wurmte mich, dass meine Mutter sich wegen Anlageratschlägen an Anacrites gewandt hatte. Es wurmte mich sogar noch mehr, dass er über ihre finanzielle Lage Bescheid wusste, während ich, ihr einziger Sohn, das nicht tat.
Junia hatte sich gesetzt und gab sich jetzt nachdenklich, das Kinn in die Hand gestützt. »Es könnte aber auch besser sein, Mutter nichts zu sagen.«
»Warum das denn?« Helenas Stimme war scharf. Sie konnte es nicht leiden, wenn sich Menschen unvernünftig benahmen. »Jemand muss Junilla Tacita warnen. Sie kann selbst entscheiden, was sie in dieser Situation unternehmen will. Oder besser noch, sie kann Marcus um Rat bitten.«
»Nein, das glaube ich nicht«, entschied Junia.
»Sei nicht so zimperlich, Junia«, sagte ich träge. Ich achtete kaum noch auf sie, ich hatte vor, Mama selbst wegen der Bank zu warnen. »Was beschäftigt dich?«
Typisch für Junia, konnte sie einen hässlichen Gedanken nicht bei sich behalten. »Wenn Mama wegen Anacrites Geld verliert, könnte damit etwas Schlimmeres vermieden werden.«
»Schlimmer als ein Geldverlust?« Ich musste husten, und nicht nur, weil das Radieschen so scharf war.
»Tu doch nicht so, als wüsstest du es nicht«, meinte meine Schwester höhnisch. »Alle auf dem Aventin rätseln darüber, warum Anacrites bei unserer Mutter lebt. Sobald die Neugier der Menschen geweckt ist, legen sie sich selbst eine Antwort zurecht.«
»Welche Antwort? Und wie lautet überhaupt die verdammte Frage?«
Die langsame Hitze der Empörung war bereits in mir hochgekrochen, bevor Junia mir sagte, was ihrer Meinung nach die Gerüchteküche glaubte. »O Marcus! Die Klatschweiber an jedem Brunnen
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