Tod Eines Mäzens
tintenfleckige Ärmel hatte. Helena meinte hinterher zu mir, das könne bedeutsam sein. »Hat die Gerüchteküche etwas Wahres aufgeschnappt? Ist Anna diejenige, die mit Worten umgehen kann?«
Hübscher Gedanke. Man könnte ein Stück über eine Frau schreiben, die die Identität eines Mannes annimmt. Wenn es sich herausstellte, dass in Wirklichkeit eine Frau Urbanus’ Dramen schrieb, war das tatsächlich ein Theaterstück.
XXXI
Petro und ich hatten Lucrio am Abend zuvor aufgefordert, heute zur Vernehmung zu erscheinen. Obwohl Petro ihm eine Uhrzeit genannt hatte, nahmen wir an, dass Lucrio nicht auftauchen würde oder zumindest zu spät käme. Zu unserer Überraschung war er pünktlich.
Jetzt, bei Tageslicht, benahmen wir uns alle äußerst freundlich. Wir hatten Zeit gehabt, uns der Situation anzupassen.
Petro und ich hatten uns auf typisch römische Art als Autoritätspersonen die einzigen beiden Stühle gesichert. Lucrio war das egal. Er ging auf und ab und wartete geduldig darauf, durch die Mangel gedreht zu werden. Er zermalmte ununterbrochen irgendwelche Nüsse und kaute mit offenem Mund.
Er entsprach einem ganz bestimmten Typ. Ich konnte ihn mir in jüngeren Jahren vorstellen, wie er vertragliche Tricks anwandte, Verfahren abkürzte und damit vor seinen forschen Freunden angab, alle mit protzigen Gürtelschnallen und reich verzierten Mantelspangen. Jetzt wurde er reifer, ging von lauten Tönen zu subtileren über, vom Riskanten zum absolut Gefährlichen, verwandelte sich vom bloßen Opportunisten in ein weitaus gewiefteres Schlitzohr, das fähig war, Kunden in eine lebenslange Verschuldung zu treiben.
Bevor ich ins Wachlokal gekommen war, hatte ich rasch bei Nothokleptes vorbeigeschaut. Von ihm hatte ich ein paar interessante Informationen über Lucrios Vergangenheit bekommen. Petronius begann die Vernehmung mit der Zusicherung, Lucrios Sklaven freizulassen (ohne ihnen vorher die Gelegenheit zu geben, mit Lucrio zu sprechen), da der Tunikadieb freiwillig ins Gefängnis zurückgekehrt war, sobald er über die Konsequenzen nachgedacht hatte. Lucrio wusste allerdings nicht, dass seine Sklaven vorher tüchtig ausgequetscht worden waren. Fusculus hatte sich freiwillig zur Tagschicht gemeldet. Nachdem die Sklaven den ganzen Morgen gehungert hatten, brachte er ihnen Brot und unverdünnten Wein und »freundete« sich mit allen sechsen an. Das hatte sich ebenfalls als produktiv erwiesen.
»Ihre Dokumente sind alle zurückgebracht worden, Lucrio, also ist das geregelt«, sagte Petro und übernahm damit die Gesprächsführung, während ich mir nur auf ominöse Weise Notizen machte. »Ich würde gern mit Ihnen über die allgemeine Situation und Verwaltung der Aurelianischen Bank sprechen. Chrysippus hat sie mit Hilfe seiner ersten Frau Lysa gegründet. Stammte er ursprünglich aus einer Bankiersfamilie?«
»Eine alte Athener Familie«, erklärte Lucrio stolz. »Er betätigte sich als Versicherer für Schiffsfrachten. Das Geschäft wurde überwiegend in Griechenland und dem Osten abgewickelt, aber er erkannte, dass es eine Marktlücke gab, und daher zogen er und Lysa hierher.«
»Er spezialisierte sich auf Darlehen?«
»Frachtkredite hauptsächlich.«
»Ein riskantes Geschäft?«
»Ja und nein. Man muss sein Urteilsvermögen schulen – ist das Schiff intakt? Ist der Kapitän kompetent? Wird die Fracht vermutlich einen Profit abwerfen und gibt es eine weitere Fracht für die Heimfahrt? Und dann …« Er hielt inne.
Petronius hatte sich auf seine ruhige Art bereits mit dem Thema vertraut gemacht. »… geben Sie dem Händler einen Kredit, um die Kosten der Reise abzudecken. Versicherung. Wenn das Schiff sinkt, ist der Händler nicht verpflichtet, den Kredit zurückzuzahlen. Sie decken die Kosten ab. Und wenn das Schiff sicher nach Hause zurückkehrt, wird der Bankier bezahlt – plus einem enormen Gewinn.«
»Na ja, nicht enorm«, wandte Lucrio ein. Wie zu erwarten.
»Wegen des Risikos eines Untergangs in einem Sturm sind Kreditgeber für Schiffsfrachten von den normalen Regeln der Höchstverzinsung ausgenommen?«, fuhr Petro fort.
»Was nur gerecht ist«, sagte Lucrio. »Schließlich müssen wir für alle fehlgeschlagenen Schiffsreisen aufkommen.«
»Nicht für alle, glaube ich. Sie sichern sich so gut wie möglich ab.«
»Wo es geht, Legat.«
»Tribun«, verbesserte ihn Petro kurz und eignete sich Rubellas Titel an, ohne rot zu werden.
»Entschuldigung. War nur eine Anredeform.«
Mein
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