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Tod eines Mathematikers

Tod eines Mathematikers

Titel: Tod eines Mathematikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Herrnkind / Walter K. Ludwig
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Alexandra alarmiert. Katzensteins Tochter war so ein liebes Mädel. Hübsch und so höflich. Doch ihr Vater, dieser Stiesel, wollte nichts mit ihr zu tun haben. Außer seiner blöden Mathematik schien den Alten nichts zu interessieren.
    Als Alexandra einmal unangemeldet an seinem Geburtstag vor der Tür gestanden hatte, hatte der Professor sie glatt rausgeworfen. Helga war fassungslos gewesen, wie er das arme Kind zusammengestaucht hatte. »Sollten Sie Alexandra noch einmal hier reinlassen, sind Sie gefeuert«, hatte Katzenstein ihr gedroht. Nur Ernst hatte sich nicht einschüchtern lassen, war Alexandra nachgegangen, hatte versucht, sie zu trösten.
    Katzenstein schien auch gar nicht zu bemerken, in was für einer behaglichen Umgebung er lebte. Hatte keinen Blick für die herrlichen Räume seiner Villa, den Erker im Wohnzimmer, das Turmzimmer, in dem er schlief. Die filigranen Jugendstilornamente im Stuck. Die Zapfen aus Bleikristall an den Lüstern, die leise klirrten, wenn der Wind im Sommer zu den hohen Fenstern hineinwehte und die dunklen Samtvorhänge blähte. Das Eichenparkett mit seinen Maserungen, das leise, wie zum Protest, knarrte, wenn man darüberlief. Die wertvollen Antiquitäten. Der alte Sekretär, den Katzenstein noch von seinem Vater geerbt hatte und der unbenutzt im Salon stand, weil er dem Professor viel zu klein war. Vertikos aus der Gründerzeit, deren gedrechselte Säulen Helga beim Abstauben regelmäßig zur Verzweiflung brachten. Und dann dieser Garten, das Revier ihres Mannes. Die dichten Rhododendronbüsche, die das Grundstück vor neugierigen Blicken schützten. Blüten, rot, lila und weiß, im Sommer fast so groß wie Fußbälle.
    Katzensteins Frau hatte sich früher um Haus und Garten gekümmert. Doch sie war schon seit vielen Jahren tot. Selbstmord, munkelten die Nachbarn. Für Helga blieb es ein Rätsel: Warum brachte man sich um, wenn man in so einer schönen Villa lebte? Und alles hatte. Nicht mal arbeiten musste.
    Für Katzenstein alleine war die Villa natürlich viel zu groß. Er brauchte nur sein Arbeitszimmer. Doch das hütete er wie ein Heiligtum. Nie ließ er zu, dass Helga das Zimmer betrat, geschweige denn darin putzte. Nicht mal staubsaugen durfte sie. Katzenstein schloss das Zimmer sogar ab, wenn er zur Toilette ging und sie im Hause war. Er hütete irgendein Geheimnis in diesem Zimmer. Lächerlich – als wenn sie in der Lage gewesen wäre, seine Aufzeichnungen zu interpretieren. Ein einziges Mal, als die Tür einen Spalt offen stand, war es ihr gelungen, einen Blick in dieses Zimmer zu werfen. Regalwände bis zur Decke mit Büchern vollgestellt.
    Auf dem Boden stapelten sich vergilbte Fachzeitschriften. Das Chaos auf dem Schreibtisch spottete jeder Beschreibung.
    Katzenstein war eine richtige Wissenschaftlernatur. Alltägliche Dinge, wie essen und schlafen, schienen für ihn ein notwendiges Übel zu sein, das ihn von seiner eigentlichen Bestimmung, der Mathematik, ablenkte. Mit Sicherheit war es Jahrzehnte her, dass er in einem Supermarkt eingekauft hatte.
    Sein Zusammenbruch Silvester war wohl nur eine Kreislaufschwäche gewesen. Schon am Neujahrsabend war Katzenstein, wie die Nachbarin ihr pflichtschuldig gemeldet hatte, wieder aus dem Krankenhaus entlassen worden. Sie hatte das Taxi vorfahren und den Professor aussteigen sehen.
    Doch jetzt war im Haus alles still. Gespenstisch geradezu. Helga wunderte sich. Zwar hörte sie den Professor morgens so gut wie nie, doch sie roch ihn. Der Duft seines Rasierwassers vermischte sich mit Zigarettenqualm. Doch diesmal roch es irgendwie anders, nach Holzkohle, so als würde jemand grillen. Doch der Professor grillte nicht, schon gar nicht im Januar.
    »Herr Professor?«, rief Helga und ging den Flur entlang zum Arbeitszimmer. Keine Antwort. »Herr Professor?« Er wird doch wohl nicht wieder zusammengebrochen sein, dachte die Haushälterin. Sie klopfte an die Tür des Arbeitszimmers, erst zaghaft, dann energischer. »Entschuldigen Sie, Herr Professor. Ist alles in Ordnung?« Stille. »Hallo?« Keine Reaktion. Nur das Ticken der alten Standuhr im Erkerzimmer war zu hören. Vorsichtig drückte Helga die Klinke herunter. Der Professor konnte ihr ja wohl kaum böse sein, wenn sie ihn heute ausnahmsweise in seinem Heiligtum störte. Sie musste doch feststellen, wie es ihm ging, vielleicht brauchte er ja ihre Hilfe.
    Der Professor saß, den Kopf leicht nach hinten geneigt und den Mund halb geöffnet, auf seinem Stuhl. Die Arme ruhten auf

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