Tod eines Mathematikers
konzentrierte sich auf seine Geliebte im Arm. Doch nachdem ich angefangen hatte, ihn demonstrativ anzulächeln, hielt er meinen Blick, erst kurz, dann immer länger. Alles andere hätte mich auch gewundert. Von all den Weibern in der Kneipe war ich schließlich mit Abstand die Jüngste.
Die Band schepperte sich etwa eine Stunde lang durch die Rockgeschichte der Siebziger. Ram Jam, Uriah Heep, The Who, Thin Lizzy, Golden Earring.
Der Applaus war lang anhaltend und wahrscheinlich ehrlich gemeint. Erst nach drei Zugaben entließ das Publikum die Musiker. Bevor sie von der Bühne verschwanden, eilte ich nach vorne, legte dem Gitarristen meinen Arm um die Schulter. Er sah mich verdattert an. Seine Augen waren im schummrigen Licht der Kneipe so dunkel, dass die Grenze zwischen Pupille und Iris verschwamm. Ehe er begriff, wie ihm geschah, schob ich meine Lippen dicht an sein Ohr, flüsterte: »Ich will mit dir schlafen.« Und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.
Noch bevor er reagieren oder irgendetwas sagen konnte, drehte ich mich um und ging langsamen Schrittes zurück zu meinem Platz. Als ich mich wieder auf meinen Barhocker gesetzt hatte, sah ich ihn geradeheraus an. Der Pockennarbige grinste. Ich lächelte. Wir waren uns offenbar einig. Alles nur noch eine Frage der Zeit.
Doch dann machte dieser Vollidiot keine Anstalten, zu mir zu kommen. Mit einem Mal war er umringt von Gästen. Der Wirt reichte ihm ein Bier und ließ es sich nicht nehmen, ein paar Worte mit ihm zu quatschen. Legte ihm die Hand auf die Schulter und redete auf ihn ein. Wahrscheinlich erzählte er ihm, wie genial sein Spiel gewesen war, besser noch als das von Angus Young. Der Pockennarbige nickte, wirkte abgekämpft, steckte sich eine Zigarette in den Mund. Kaum hatte der Wirt von ihm abgelassen, hakte sich irgendeine langhaarige Blondschnepfe bei ihm unter, flüsterte ihm etwas ins Ohr. Zwei Frauen, ein Gedanke. Der Pockennarbige stierte ihr ungeniert ins welke Dekolleté. Blondinen bevorzugt, dachte ich, rutschte vom Barhocker und ging auf die Toilette, die im hinteren Teil der Kneipe lag. Dann würde ich eben allein nach Hause gehen, während sich der Pockennarbige mit der Blondschnepfe vergnügte. Such is life.
Als ich aus der Toilette kam, stand plötzlich der Pockennarbige auf dem Flur vor mir. Sein Blick trieb mir die Schamesröte ins Gesicht. Hatte ich diesem Typen wirklich ein eindeutiges Angebot gemacht? Mein Herzschlag ging schneller. Und diese Aufregung, Gott, allein dieses Gefühl, dieses Kribbeln, dieses Ziehen im Magen, war eine Sünde wert.
»Na?«, sagte er und drängte sich dicht an mich. Aus der Nähe sahen seine Aknenarben noch fieser aus. Eine hügelige Landschaft kleiner Krater. Er roch streng, war nass geschwitzt. Und dann dieses strähnige Haar. Eine Schönheit war dieser Mann wirklich nicht. Aber er hatte etwas. Etwas, das mich rührte. Jolie-laide, wie die Franzosen sagen. Hübsch-hässlich.
Während ich noch überlegte, ob dieser Ausdruck nur für Frauen galt, legte er seine Hände um meine Hüften, zog mich zu sich heran. Seine Arme waren gebräunt und sehnig. »Ich dachte, du hättest dich für die Blonde entschieden«, sagte ich mehr aus Verlegenheit. Der Pockennarbige schüttelte den Kopf, statt einer Antwort küsste er mich. Das heißt, er schob mir seine Zunge in den Mund und drückte mich fest an sich, sodass ich seine Erregung spüren konnte. Er schmeckte nach Alkohol und Zigarettenrauch. Dann löste er sich wieder von mir und zog einen Schlüssel aus der Hosentasche seiner schwarzen Jeans. Ich lächelte. Wortlos drehte er sich um und ging auf eine Tür zu. Ich blieb stehen, unschlüssig, ob ich diesem Typen wirklich folgen sollte. Von hinten sah er eigentlich ganz passabel aus. Mittelgroß, schlank, muskulöse Arme, ein knackiger Hintern. Der Pockennarbige öffnete die Tür. Das Deckenlicht der Flurlampe fiel durch den Spalt, sodass ich in den Raum sehen konnte. Er hatte keine Fenster, in der Mitte stand ein Billardtisch.
Der Gitarrist drehte sich halb zu mir herum, nahm meine Hand und zog mich sanft in den Raum. Eine Front aus kaltem Rauch und schalem Bier schlug mir entgegen. Die Luft war stickig; hier war ewig nicht gelüftet worden.
Was, verdammt noch mal, machte ich hier?
»Wieso hast du denn einen Schlüssel fürs Billardzimmer?«, fragte ich mit einem leisen Zittern in der Stimme.
»Der Wirt ist mein Bruder«, antwortete der Pockennarbige und schloss die Tür hinter mir. Plötzlich stand ich im
Weitere Kostenlose Bücher