Tod eines Träumers (Vera-Lichte-Krimi) (German Edition)
Denunziation. Der schwarze Schirm mit dem polierten Holzgriff sah edler aus als alles andere, das dem Großvater gehört hatte.
Er wollte trockenen Hauptes ankommen beim Herrn Notar. Gerry sah anders aus als sonst. Strenger. Teurer. Das Haar hatte er zu einem Zopf gebunden. Unter der Lederjacke trug er ein weißes Hemd mit hohem Kragen. Ein schmales Band aus schwarzem Samt hatte er um diesen Kragen gelegt. Das Kruzifix hätte gut daran ausgesehen. Schade. Er hatte den dekorativen Wert zu spät erkannt.
Nur die Jeans und die Stiefel waren die gleichen, die Gerry immer trug. Lonesome Cowboy. Auf einem harten Trip.
Er würde das Doppelte verlangen für die Stunde von Viertel nach vier bis Viertel nach fünf.
Der Buchstabe G stand bevor.
Gerry stieg an der Station Rathaus aus und spürte die Blicke der verregneten Frau im Rücken. Immer blickte ihm einer nach. Zu auffällig war Gerry geworden. Selbst wenn er aussah wie heute. Seriös, dachte er.
Ein kurzer Gang zum Dornbusch.
Er ging durch das Scherengitter und drückte die Tür auf.
Stieg die Treppen hinauf. Die schwere Eichentür wurde ihm geöffnet. Eine neue Anlage, die die Tür tätig werden ließ, ohne dass der Herr Notar an der Klinke stand.
Der Herr Notar hatte investiert. War nicht die Rede davon gewesen, das Notariat aufzugeben?
Keiner im ersten der hohen Räume. Keiner im zweiten.
Als Gerry um Viertel nach fünf durch das Scherengitter ging, wusste er, dass er Vera für diesen Abend absagen musste.
Auf die Anprobe verzichten. Billie mit Stecknadeln im Mund. Anni in der Küche mit etwas Gutem auf dem Herd.
Ihm tat es Leid darum.
»Nur über meine Leiche«, sagte Anni. Sie hängte den letzten der gespülten Kristalle aus venezianischem Glas zurück an den Kronleuchter und funkelte Engelenburg an.
»Sie wissen doch noch gar nicht, ob das wahr ist«, sagte der.
»Ich kenne meine Pappenheimer«, sagte Anni, »hab gar nichts gegen Pit. Ganz im Gegenteil. Hört sich ja auch harmlos an, Grünkohl essen. Doch seit gestern Abend ist Vera aufgekratzt, als habe ihr der Herr Gernhardt eine neue Leiche aufs Tablett gelegt.«
»Vielleicht ist sie aufgekratzt, weil Hauke Behn nach Hamburg kommt«, sagte Engelenburg.
»Glaub ich nicht«, sagte Anni, »ist ihr eher ein bisschen bange vor. Seit Jef tot ist, hat sie es nicht so mit der Nähe.«
»Hab ich mich da zu sehr eingemischt?«, fragte Engelenburg.
Anni schüttelte den Kopf. »Lassen Sie mal, Jan«, sagte sie, »das war schon gut. Könnte ja was werden.«
Sie ging zur Tür und drehte den Dimmer auf volle Stärke und ließ die Lampe leuchten. Störte sie nicht länger, dass der Kronleuchter ein Geschenk von Gustavs großer Liebe gewesen war. Hing ja schon da, seit Anni in den Haushalt gekommen war. Länger als vierzig Jahre her.
»Ein schönes Stück«, sagte Jan van Engelenburg.
»Ich hab noch ein Stück Zwiebelkuchen da«, sagte Anni.
»Das nehme ich gerne«, sagte Engelenburg. Dieses nachbarschaftliche Verstehen.
»Kopflose Leiche. Kiez. Gerry fragen«, sagte Anni.
Engelenburg legte die Stirn in Falten.
»Stand auf einem Zettel, den Vera auf dem Schreibtisch hat liegen lassen. Glauben Sie es jetzt, Jan?«
»Was sagt Vera dazu?«
»Hab noch nicht gefragt«, sagte Anni, »ich kriege ja doch nicht die Wahrheit zu hören.«
»Wo ist sie eigentlich?«
»Mit dem Kleinen in der Krabbelgruppe. Nächste Woche kommen sie alle zu uns. Ich mache Muzen. Ist ja dann Martinstag. Die Kinder essen doch noch keine Gans.«
Herr van Engelenburg lachte. »Martinstag«, sagte er, »sind Sie sicher, dass Sie keine verkappte Katholikin sind, Anni?«
»Ich nehme so viele Festtage, wie ich kriegen kann. Ist doch schön, was zu feiern zu haben.«
»Was ist denn aus dem Jungen geworden? Gerry.«
»Der hätte gestern zur Anprobe kommen sollen. Billie näht ihm Veras Glitzerfummel um. Er hat aber abgesagt.«
Engelenburg stach die Gabel in den Zwiebelkuchen. Hoffentlich bekam er etwas von den Muzen ab. Die schmeckten wie Poffertjes. Dass Anni das kannte.
»Soll ich Vera auf den Zettel ansprechen?«, fragte er.
»Wenn Sie das tun würden«, sagte Anni. »Bei uns gibt es dann gleich eine schlimme Auseinandersetzung. Vera war schon als Kind trotzig, wenn es darum ging, ob sie sich zu viel traute. Immer auf die höchsten Bäume.«
»Ich will ihr morgen den Laden zeigen. In dem Hauke Behn bald den Wein verkaufen wird.«
»Hoffentlich geht das gut. Er muss doch auch Theo versorgen. Der Junge hat noch die Schule vor
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