Tod eines Träumers (Vera-Lichte-Krimi) (German Edition)
einem Streifen alter roter Expressaufkleber zu verzieren.
Mussten noch Unmengen von den Rollen im Materiallager vorhanden sein. Sie ging jedenfalls großzügig damit um.
Dafür war ihre Sprache eher knapp:
Ihr Kopf wurde gefunden.
Einen Moment lang versuchte Pit sich noch an dieser Formulierung zu erfreuen, um einen kleinen Aufschub zu bekommen. Warum wollte ausgerechnet dieser träge Tag anstrengend werden.
Nur ein kurzer Blick wurde Pit Gernhardt im Vorzimmer des Chefs gewährt, dann vertiefte sich die Dame wieder in eine Akte, die aufgeschlagen vor ihr lag.
»Einer aus der Zwo hat den Bericht geschrieben. Sie waren ja um neun noch nicht da«, sagte sie.
»Wo ist der Bericht?«
Wahrscheinlich in Ihrer Mailbox.«
»Und der Kopf?«
»In der Rechtsmedizin.«
Einer aus der Zwo. Sie waren wirklich unterbesetzt, dass sie sich schon von der Zwo die Berichte schreiben ließen. Kommissar Lutz seit Wochen krank, Kummer in Kapstadt. Wer hatte ihm nur den Urlaubsantrag unterschrieben? Der ebenfalls abwesende Herr Kriminalrat vermutlich.
Pit verzichtete darauf, einen Kaffee zu holen. Der Bericht bereitete ihm genügend Magenschmerzen. Was wurde ihm denn da von der Zwo erzählt. Der Schreiber des Berichtes war ein Polizeiobermeister aus der Altstadtwache.
Im zweiten Keller eines alten Kontorhauses war der Kopf gefunden worden. Ein wahrer Eiskeller, schrieb der POM, darum Kopf gut erhalten. Der Hausmeister habe nur eine Prise Rattengift streuen wollen. Welch eine Überraschung für den Rattengiftstreuer, den Deckel eines Koffers zu heben, der dort nicht hingehörte, und den Kopf zu finden.
Ließ sich vorstellen, dass ein Hausmeister in aller Frühe und tiefer Dunkelheit unterwegs war, um Ratten zu vergiften?
Eine Taschenlampe in der Hand? Pits geistiges Auge sah ihn mit einer Laterne. Eine Fackel?
Pit war neugierig auf den wackeren Mann.
Doch erst einmal den Kopf angucken. Er griff zum Telefon und wählte die Nummer der Rechtsmedizin.
Vielleicht sollte er Nick mitnehmen.
Die kannten ihn da schon gut.
Gerry war der Frau gefolgt. Nur ihre Frisur unterschied sie von dem beigefarbenen Mann, der ihn mit Jesaja genervt hatte. Zu einem Dutt gezwirbelte graue Haare statt eines dünnen Kranzes. Alle sahen sie leidend aus. Die Alten.
Der Anorakmann.
Ist es Teufelszeug zu telefonieren?, hatte Gerry gefragt, als er sie vor der Tür stehen sah.
Sie hatte ihn mit weiten Augen angesehen, und da erst war ihm bewusst geworden, dass er in T-Shirt und Shorts vor ihr stand und ihm die langen Haare auf die Schultern fielen.
»Deiner Großmutter geht es schlecht.«
Geister in Grau und Beige, die umherschlichen und schlechte Nachrichten brachten.
Er folgte ihr in den Nebeltag und fror. Die Kleider, nach denen er gegriffen hatte, wärmten kaum. Noch immer keine Jacke mit Lammfell. Die Zwanziger fehlten. Es wurde Zeit, dass er wieder Geld verdiente.
»Ist sie zu Hause?«, fragte er.
»Sie quält sich.«
»Hat sie einen Arzt kommen lassen?«
Die Frau drehte sich um und legte einen Finger auf die Lippen. Was sollte das nun wieder? Gerry hatte seit er denken konnte mit diesen Leuten zu tun, doch sie wurden ihm immer absonderlicher.
Vielleicht war Qual erwünscht. Auch bei den absonderlichen Geistern der Gemeinde. Näher mein Herr zu dir, der du am Kreuz gehangen hast.
Als er die Schmelzflocken gebracht hatte und den Liter Milch, hatte seine Großmutter ihn aus der Tür gedrängt.
Aus Angst vor seinen Fragen? Nach ihrer Tochter, die Gerrys Mutter gewesen war?
Aus dem Dutt der Frau lösten sich Haarsträhnen. Darunter war ein Drahtkissen zu sehen, das dem Dutt wohl Volumen geben sollte. Gerry sah es, als sie vor der Tür stand und in den Tiefen ihrer Tasche nach dem Schlüssel suchte.
Einen Schlüssel zur Wohnung seiner Großmutter.
Gerry hatte seinen abgeben müssen.
Die Alte stieß ihn fast hinein in den Flur. Er hörte erst die Tür hinter sich ins Schloss fallen und dann die Stimme seiner Großmutter. »Gerhard?«
Er trat ein in das kleine Schlafzimmer. »Lass das Fenster zu«, sagte seine Großmutter, ehe er zum Fenster gehen konnte.
Kannte er einen Arzt, der ihm den Gefallen tat zu kommen, um sich das Elend anzusehen?
Er kannte keinen. Wenn er krank gewesen war, dann hatte sie gebetet. Vielleicht noch einen Tee zubereitet.
Vera fragen, dachte er. Vera kannte Ärzte.
Menschen wie Vera hatten alle Verbindungen und ein Familiengrab. Hatte Gerry irgendeine Ahnung, wo die Asche des Großvaters geblieben war? Wo er
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