Tod für Don Juan
der
Theke vorbei, und Sheila sprach ihn an. «Inspector! Inspector Morse! Wollen Sie
sich nicht zu uns setzen?»
Das schmale, leicht abwehrende
und auf Distanz bedachte Lächeln legte den Gedanken nah, daß der Chief
Inspector eigentlich lieber allein geblieben wäre. Doch da klopfte Sheila schon
einladend auf die Polsterbank, und Morse sah wieder in die dunkelbraunen,
bittenden Augen, die ihn vorhin so seltsam fasziniert hatten.
«Ich — äh — »
«Das ist John Ashenden,
Inspector. Unser Reiseführer.»
Morse nickte, zögerte, gab sich
geschlagen und ließ sich mit seinem Bierglas ziemlich umständlich an Sheilas
Seite nieder.
«John hat gerade erzählt, daß
er sich heute nachmittag im Magdalen umgesehen hat. Stimmt doch, John...»
«Ja. So richtig kannte ich
dieses College nämlich bisher noch nicht. Phantastisch... Daß es da einen Wildpark
gibt, wußte ich natürlich, aber wie schön man dort am Cherwell Spazierengehen
kann, meilenweit nur Felder und Gärten, davon hatte ich bisher keine Ahnung.
Und dann natürlich der Turm. Einer der schönsten Türme Europas, Inspector,
finden Sie nicht?»
Morse nickte. Nicken war
offenbar an diesem Abend seine Spezialität. Sein Hirn aber lief — das erste Mal
bei dieser Ermittlung — plötzlich auf Hochtouren.
Der Chief Inspector behauptete
seit jeher, er müsse trinken, um denken zu können — eine willkommene Ausrede,
wie seine Kollegen nachsichtig meinten, für die unverhältnismäßig langen und
häufigen Aufenthalte des Chief Inspector in diversen Bars und Pinten. Morse
selbst allerdings war von der schicksalhaften Wahrheit dieser seiner Aussage
felsenfest überzeugt, zumal auch die Umkehrung zutreffend war: Daß er beim
Trinken unweigerlich den Denkapparat eingeschaltet hatte. Und bei Ashendens
Worten hatten sich Morses blaue Augen plötzlich verengt, und er musterte den
Reiseleiter mit neuem Interesse und einem leisen Prickeln der Erregung.
Zwanzig Minuten später, nach
einem recht schweigsam verbrachten Abendessen, saßen Howard und Shirley Brown
bei geeistem Tomatensaft an einem Tisch in der Bar und grübelten.
«Also du hast ein Alibi,
Shirl», sagte Howard. «Ich meine, du und Eddie... Kein Problem. Aber wo bleibe
ich?» Er lächelte gutmütig und ein bißchen kläglich zugleich. «Schließlich war
ich im Nebenzimmer. Wenn ich gewollt hätte...»
«Wenn du was gewollt hättest,
Schätzchen? Morden? Rauben? Vergewaltigen?»
«Würdest du mir eine
Vergewaltigung zutrauen, Shirl?»
«Nein», sagte sie mit
vernichtender Offenheit.
«Und du hast Ashenden gesehen,
sagst du. Damit hat er ein Alibi.»
«Ein halbes.»
«Bist du sicher, daß er dich
gesehen hat?»
«Hundertprozentig. Aber
vermutlich denkt er, daß wir ihn nicht gesehen haben.»
«Longwall Street, sagst du?»
«Ja, so stand es auf dem
Straßenschild.»
«Was ist denn da unten?»
«Eddie hat sich’s auf dem
Stadtplan angesehen. New College und dann dieses Magdalen College ohne
.»
PC Hodges und PC Watson gingen
systematisch nach ihren Listen vor, und so kam es, daß fast zur gleichen Zeit,
als Hodges Mrs. Williams und Mr. Ashenden ersuchte, ihn ins Büro des Direktors
zu begleiten, PC Watson Mr. und Mrs. Brown bat, ihn in den verlassenen Ballsaal
zu begleiten, um ihm ein paar Fragen zu beantworten.
Nachdem seine beiden
Trinkkumpane ihn verlassen hatten — die Dame widerstrebend, der Herr merklich
erleichtert —, betrachtete Morse erneut die Bilder von Osbert Lancaster an den
Wänden und überlegte, ob ihm die Illustrationen zu Suleika Dobson wirklich gefielen. Vielleicht mußte er aber nun doch endlich mal Beerbohms Buch
lesen, möglicherweise sogar nachschlagen, wie sich diese Suleika nun wirklich
aussprach.
Sein Glas war leer, und er ging
zur Theke, wurde aber bei Michele, der prallen Brünetten, sein Geld nicht los.
«Ist schon bezahlt, Sir. Von
der Dame, die bei Ihnen gesessen hat.»
«Waaas?»
«Ich soll Ihnen einen Halben
zapfen, wenn Sie sich die nächste Runde holen kommen, hat sie gesagt.»
«Sie hat gesagt?»
«Die kennt Sie wahrscheinlich,
Sir», sagte Michelle und lächelte verständnisinnig.
Morse setzte sich in den
verlassenen Nebenraum der Bar und dachte des längeren an Sheila Williams. Als
Student hatte er eine Freundin gehabt, die Sheila hieß — im St. John’s war das
gewesen, in ebenjenem College, aus dem A. E. Housman, der größte Latinist des
20. Jahrhunderts, ebenfalls ohne Abschluß rausgeflogen war. Housman
Weitere Kostenlose Bücher