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Tod für Don Juan

Tod für Don Juan

Titel: Tod für Don Juan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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Teufels Wörterbuch)
     
    Kemp entsprach für Morses
Empfinden so haargenau dem Klischee des klassischen Oxford-Mannes, daß der
Chief Inspector sich ernstlich fragte, ob er sich nicht vielleicht doch zu
einem vorschnellen Urteil hatte hinreißen lassen. Der gescheite Mann mit dem
dunklen Bart und einem Gesicht von charmanter Häßlichkeit (Ende Dreißig —
Sheilas Alter?), der vor dem Hinsetzen den Stuhl mit einem Taschentuch von
Übergröße abgestaubt hatte, wußte offenbar bereits, was geschehen war (von
Sheila?), oder er hatte zumindest etwas davon läuten hören. Andere Leute hätte
Kemps affektiertes Lispeln nur vorübergehend irritiert. Morse ging es permanent
— und gründlich — gegen den Strich.
    «Ein Stück von unschätzbarem
Wert, Inspector...»
    «Wenn Sie uns etwas Näheres
über den Wolvercote-Dorn sagen könnten, Sir...»
    Kemp war bestens vorbereitet.
Er entnahm seiner schwarzen Aktentasche einen Stapel hellblauer Broschüren, von
denen er je eine Morse und Lewis über den Schreibtisch reichte.
     
    Das Wolvercote-Kleinod
     
    Im
Lauf der letzten hundert Jahre ist das erstaunliche Niveau des Kunsthandwerks
in der späten angelsächsischen Periode immer stärker ins Bewußtsein der
Archäologen und Historiker gerückt. Für großes Aufsehen sorgte die Entdeckung
einer goldenen Gürtelschnalle in Wolvercote im Jahre 1931. Besondere Bedeutung
gewann dieser Fund, als der zu dieser Schnalle gehörende «Dorn», ausführlich
dokumentiert, beglaubigt und für echt befunden, in der Sammlung eines gewissen
Cyrus C. Palmer Jr. aus Pasadena, Kalifornien, auftauchte. Das Cloisonné des birnenförmigen Dorns in massivem Goldrahmen, mit einem unverwechselbaren
Filigranmuster und mit (ursprünglich) drei großen Rubinen besetzt, entsprach
genau der Größe der Schnalle aus dem Ashmolean. Nicht genug damit: Auch die
Beschriftung des Dorns — AELFRED MEC HEHT GEWYR CAN — (Alfred der Große, 871-901,
siehe auch Handwerkskunst im südlichen Britannien vor der Eroberung, Theodore
S. Kemp, Babington Press, Juni 1991) — war in Form und Gravur identisch mit der
goldenen Schnalle, in der (nach einhelliger Meinung aller Fachleute) der Dorn
einst gesessen hatte.
    Für die Wiedervereinigung von
Schnalle und Dorn gebührt unser Dank dem Philanthropen Palmers und seiner
Gattin, der jetzigen Mrs. Laura M. Stratton, die dieses Unternehmen hochherzig
und tatkräftig förderte. Klärungsbedürftig ist, wie Dr. Theodore Kemp vom Ashmolean
Museum erklärt, nur noch, welchem Zweck dieser wunderschön gearbeitete
Kunstgegenstand diente, der nun unter der Bezeichnung «Wolvercote-Kleinod» in
die Kunstgeschichte eingehen wird.
    Ob die Schnalle einst ein
königliches Gewand zusammenhielt, ob sie symbolische oder zeremonielle
Bedeutung hatte — das sind faszinierende Spekulationen. Fest steht, daß das
Wolvercote-Kleinod — Schnalle und Dorn glücklich vereint — zu den wertvollsten
Schätzen des Ashmolean zählen dürfte.
     
    «Stammt der Text von Ihnen?»
wollte Morse wissen.
    Kemp nickte mit einiger
Bitterkeit. Daß aus der so gewissenhaft vorbereiteten Feier nun nichts werden
sollte, war schon ein schwerer Schlag. Die Übergabezeremonie... Presse...
Fernsehen... Herrgott noch mal!
    «In der Schule mußten wir die
Jahreszahlen der Könige von England auswendig lernen», sagte Morse. «Allerdings
erst ab Wilhelm dem Ersten. Leider.»
    «Sie hätten weiter zurückgehen
müssen. Viel weiter.»
    «Ich gehe immer so weit wie
möglich zurück, Sir.» Morse warf seinem blassen Gegenüber einen scharfen Blick
zu. «Was haben Sie heute nachmittag zwischen halb fünf und Viertel nach fünf
gemacht, Dr. Kemp?»
    «Wie? Gemacht?» Er schüttelte
wie in ratloser Verwirrung den Kopf. «Sie wollen doch nicht... Nein, ausgeschlossen...
Habe wahrscheinlich da drüben rumgegammelt.» Über Mörses Kopf hinweg deutete er
unbestimmt auf das Ashmolean Museum. «Ich weiß es nicht mehr. Und es kümmert
mich auch nicht.» Er griff nach den Broschüren, riß sie wütend und mit einer
Kraft, die Morse den weibischen Händen gar nicht zugetraut hätte, in der Mitte
durch und warf sie auf die Schreibtischplatte.
    Morse ließ ihn gehen.
    Kemp war heute abend schon der
zweite, der auf die einzige wirklich wichtige Frage, die ihm gestellt worden
war, eine äußerst zurückhaltende Antwort gegeben hatte.
    «Sie mögen ihn nicht, was?»
    «Wieso? Und wenn schon...»
    «Na ja, irgendwer muß dieses
Wolvercote-Dingsbums ja geklaut haben.»
    «Geklaut wurde

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