Tod für Don Juan
Seife zu überprüfen und sich vom
Funktionieren der Lichtschalter und der Fernsehgeräte zu überzeugen.
Gelegenheit? Ja. Motiv? Wohl kaum. Die drei Referenten? Eigentlich
ausgeschlossen... Zu diesem Zeitpunkt hatten sie ihren Dienst noch nicht
angetreten, waren noch gar nicht im Hotel. Die konnte man vergessen, zumindest
dann, wenn Lewis ihre Aussagen überprüft hatte.
Ja, das war’s dann wohl. Damit
waren — nach dem im Präsidium umlaufenden neuesten Schlagwort — die Parameter
abgesteckt. Keine weiteren Kandidaten.
Eigentlich nicht.
Nein.
Oder?
Wie stand es um den Ehemann?
Morse hatte seit jeher ein gesundes Mißtrauen Personen gegenüber, die als erste
am Tatort waren, und Eddie Stratton hatte als erster nicht nur den Tod seiner
Frau, sondern auch den Diebstahl der Handtasche gemeldet. Ein Mann aber, der
seine Frau tot auffindet — tot! —, wird doch nicht... Nein, wer wird denn auf
so einen Gedanken kommen...
Keiner. Bis auf Morse.
Und was ist mit der höchst
unwahrscheinlichen, höchst unglaubhaften, undenkbaren Möglichkeit... Undenkbar?
Denken kostet nichts, Morse! Was ist mit der Frau selber, mit Laura Stratton?
Könnte sie hinter dem Verschwinden des hochberühmten Kleinods stecken? Warum
aber? War es versichert? Ja, natürlich. Und zwar bestimmt sehr hoch. Schön, mit
dem An- und Verkauf eines solchen Gegenstands wird man sich schwertun, er hat
keinerlei praktischen Nutzen — außer als Beleg für ein kulturelles Kontinuum in
einem Universitätsmuseum. Oder aber — eben! — oder aber als
Versicherungsobjekt, das gestohlen wertvoller ist als wiederbeschafft. Und
falls die Strattons ein bißchen knapp bei Kasse waren, durfte man diese
Möglichkeit nicht von der Hand weisen. Und was war — diese Überlegung mußte ja
früher oder später kommen! —, wenn das Ding gar nicht dagewesen war, folglich
auch gar nicht hatte gestohlen werden können? Auch das lag im Bereich der
Möglichkeiten. Wenn der Wolvercote-Dorn (nur weiter so, Morse!) gar nicht in
der Handtasche gesteckt, wenn er die USA nie verlassen hatte?
Mittlerweile war Morse bereits
im Einkaufszentrum Summertown, und fünf Minuten später, als er vor seiner
Junggesellenwohnung südlich der Ringstraße A 40 angelangt war, kam ihm die
ausgefallenste Möglichkeit in den Sinn: Wenn es diesen Wolvercote-Dorn
überhaupt nicht gab? Aber nein — es mußten ja Beweise in Bild und Schrift
vorliegen. Eine Kapazität wie Dr. Theodore Kemp hätte sich in so einer Sache
nie derart primitiv hinters Licht führen lassen. Außerdem war er vermutlich
selbst in Amerika gewesen, um sich das Kleinod anzusehen. Ausgeschlossen!
Vergiß es! Morse hielt sich, nachdem er seine Wohnung betreten hatte, mehr oder
minder an diesen Vorsatz und hörte sich vor dem Schlafengehen noch die ersten
beiden Sätze von Bruckners Siebter Symphonie an.
Zehn Minuten vor drei wachte er
mit staubtrockenem Mund auf. Er stand auf, ging ins Badezimmer und trank ein
Glas Wasser. Und noch eins. Wasser — eine Flüssigkeit, die ansonsten in Morses
Tagesablauf keine große Rolle spielte — war ihm in den frühen Morgenstunden
fast unentbehrlich geworden.
14
Nur
seichte Menschen urteilen nicht nach dem Äußeren. Das wahre Geheimnis der Welt
ist das Sichtbare, nicht das Unsichtbare. (Oscar Wilde, Das Bildnis des
Dorian Gray)
Der Junggeselle Morse teilte in
jener Nacht sein Lager nur mit dem flüchtigen, von Gin umwaberten Schatten
einer kurvenreichen Geschiedenen. Die beiden Referenten der Historischen
Städtetour durch England hingegen schlummerten zu dem Zeitpunkt, als Morse zum
ersten Mal ins Badezimmer ging, brav im eigenen Heim neben der eigenen Ehefrau.
Beider Lager stand in North Oxford, und zwar nur etwa eine Viertelmeile
voneinander entfernt.
Der Reisende, der von der
Stadtmitte aus Oxford in Richtung Norden verläßt, kann an der St. Giles’ Church
entweder auf die Woodstock Road oder rechter Hand auf die Banbury Road
einbiegen, auf der er nach etwa einer Meile Summertown erreicht. Hier kommt er
gleich nach dem Einkaufszentrum linker Hand zu dem gelben Backsteinneubau von
Radio Oxford, rechts geht dann die erste jener vier Straßen ab — Lonsdale,
Portland, Hamilton und Victoria — , die zwischen der Banbury Road und dem
Cherwell (von den Einheimischen meist Charwell ausgesprochen) verläuft. Wegen
der an beiden Seiten parkenden Wagen sind diese Straßen nur einspurig
befahrbar. Die meisten der hier in den zwanziger und dreißiger Jahren
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