Tod für Don Juan
telefonieren. Allerdings merkte ich, daß von ihrer Seite
aus nicht der Wunsch bestand, wieder eine freundschaftliche oder gar eine
Liebesbeziehung anzuknüpfen, und mir ging es ehrlich gesagt nicht anders. Ich
schätzte meine Unabhängigkeit zu sehr um mich fest an eine Frau zu binden, die
ich wahrscheinlich gar nicht mehr erkannt hätte. Aber da war auch noch meine
Tochter... Ich versuchte festzustellen, was aus ihr geworden war. Sie war auf
der Beerdigung ihres Vaters gewesen, es mußten also noch gewisse Kontakte zum
Elternhaus bestehen. Im Februar starb dann ihre Mutter an einer schlimmen
Krebsgeschichte; die Tochter war bis zuletzt bei ihr gewesen und hatte bei
dieser Gelegenheit wohl von dem Geheimnis erfahren, das das Leben ihrer armen
Mutter so viele Jahre lang belastet hatte. Nach der Beerdigung ihrer Mutter
schrieb sie mir, sie hätte sich ohnehin schon gedacht, was damals geschehen
war. Ich hatte außer ihr keine eigenen Kinder, und sie war mir in dieser Zeit
unendlich lieb und teuer, aber ich rechnete nicht damit, sie jemals zu Gesicht
zu bekommen. Ihr Brief war in London WC1 abgestempelt, trug aber keine
Absenderangabe. Als ich dann die Anzeige für diese Reise sah, bei der auch ein
dreitägiger Aufenthalt in London vorgesehen war, meldete ich mich kurz
entschlossen an. Ich stellte es mir schön vor, das gute alte England wieder zu
sehen, und wenn ich meine Tochter nicht fand, konnte ich mich damit trösten,
daß ich es zumindest versucht hatte. In London klapperte ich eine Reihe von
Heimen und Besserungsanstalten ab und hatte tatsächlich Glück. In einer dieser
Einrichtungen saßen zehn, zwölf junge Frauen beim Essen zusammen. Ich weiß
nicht mehr, wie das Heim hieß, die Räume waren in wedgwoodblau und grau
gehalten, und die Rohre waren knallrot gestrichen. Es war ein ziemlich großes
Reihenhaus aus gelbem Backstein mit weißen Fensterrahmen, man ging zu Fuß von
King’s Cross fünf bis zehn Minuten. Sonst weiß ich nur noch, daß unheimlich
viel Abfall auf der Straße herumlag. Der Heimleiter, ein sehr beeindruckender
Mann, nannte den Namen meiner Tochter, und es stellte sich heraus, daß eine der
jungen Frauen sie kannte. Es waren alles frühere Prostituierte und
Kleinkriminelle, meine Pros und Cons nannte er sie, und eine von ihnen hatte
meine Tochter Pippa eine Woche zuvor ganz in der Nähe gesehen, in einer
Caféteria. Ich drückte ihr zehn Pfund in die Hand und bat sie, dem Heimleiter
bescheid zu sagen, falls sie Pippa noch mal sah, der mich dann verständigen
würde. Gestern waren wir war ich zum letzten Mal auf dieser Reise ganz
in der Nähe von London, von hier ist es ja nur eine Stunde Fahrt. Und dann rief
mich gestern meine Tochter selbst an. Ich hatte dem Heimleiter unseren
Reiseplan gegeben, das Gespräch wurde in mein Zimmer durchgestellt, ehe wir zum
Essen gingen. Wir verabredeten uns für viertel nach zwei in der Brunch Bar des
Great Western Hotel in Paddington, und ich fuhr los, ohne meinen Mitreisenden
etwas zu sagen. Pünktlich um zwei war ich in Paddington, ging gleich in die
Hotelbar und bestellte mir einen großen Whiskey, denn ich war ganz schön
nervös. Schließlich hatte ich ja meine Tochter noch nie gesehen. Ich wartete
bis um drei, und als die Bar schloß, setzte ich mich noch bis vier Uhr in die
Halle. Aber sie kam nicht, obgleich ich jede Frau, die so um die fünfundvierzig
war, gespannt und voller Hoffnung musterte. Ich nahm den Zug um 16.20 Uhr, der
in Reading und in Didcot hält. Ich habe Eddie in Didcot nicht einsteigen sehen,
weiß aber seit heute Vormittag, daß er mich gesehen hat. Er hatte es mir
eigentlich verschweigen wollen, aber sein Gewissen ließ ihm keine Ruhe, und da
hat er mir dann gesagt, was er Ihnen erzählt hat. Ich hoffe von Herzen, daß die
Polizei der Lösung des Falles näher kommt, wenn wir rückhaltlos die Wahrheit
sagen, auch wenn wir alle unsere kleinen Geheimnisse haben mögen. Nur eine
Bitte hätte ich: Daß mein Geheimnis gewahrt bleibt. Ach ja, noch eins. Ich
hatte Janet Mrs. Roscoe gebeten mir zu bestätigen, sie habe mich gestern
Nachmittag bei einer der Besichtigungen gesehen. Bitte machen Sie ihr keinen
Vorwurf daraus, zu ihr habe ich nur gesagt, ich hätte schreckliche
Kopfschmerzen. Sie ist sehr viel netter, als die anderen vielleicht denken, und
ich bewundere sie sehr.
Philip Aldrich
35
Just
a song at twilight
When the lights are low
And
the flick’ing shadows
Softly
come and go...
(Aus
dem Englischen
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