Tod für Don Juan
es Lucy Downes so rasch gelungen war, die recht gemäßigte Libido von Lewis
anzufachen, ließ sich denken, wie sie auf die ausgeprägte Sinnlichkeit von Kemp
gewirkt hatte.
Lewis hatte sich inzwischen ans
Steuer gesetzt und zugesehen, wie der über die Karte wandernde Zeigefinger von
Morse plötzlich unbeweglich am unteren Ende der Lonsdale Road stehengeblieben
war.
«Downes kann es nicht gewesen
sein, Sir. Er war die ganze Zeit mit den Amerikanern zusammen. Wenn irgend
jemand ein Alibi hat, dann er.»
«Vielleicht war es Ihre
Freundin Lucy Downes.»
«Das können Sie doch nicht im
Ernst annehmen...»
«Von Annahmen kann im
Augenblick überhaupt noch nicht die Rede sein», erwiderte Morse ziemlich von
oben herab. «Zunächst gehe ich von Deduktionen aus, erst wenn ich damit fertig
bin, kommen Annahmen und Vermutungen an die Reihe.»
«Soso...»
«Jetzt fahren Sie schon! Wir
können die Amerikaner nicht den ganzen Tag hier festhalten.»
Lewis fuhr von Parson’s
Pleasure zurück zur Banbury Road, rollte die St. Giles’ hinunter und bog an der
Ampel in die Beaumont Street ein. Chief Inspector Morse saß, nicht mehr ganz so
gereizt, aber noch immer unbeweglich neben ihm und sah starr auf die
Straßenkarte von Oxford.
Zweifellos, dachte Lewis, mit
wichtigen Deduktionen beschäftigt.
33
Wer
die Einsamkeit fürchtet, darf nicht heiraten.
(Tschechow)
Sheila Williams fühlte sich
kreuzelend. Als Morse, der auch nicht eben heiter wirkte, ins Randolph gekommen war und Aldrich und Brown zu sich gebeten hatte (umgehend bitte!), war
er ihrem Blick betont ausgewichen. Offenbar mochte er die kurzen Momente der
Intimität von heute früh nicht wieder aufleben lassen. Die meisten Amerikaner
wurden verständlicherweise allmählich etwas nervös. Nur Phil Aldrich wirkte so
abgeklärt wie immer, obgleich man ihn beim Essen gestört und in den Lancaster
Room geholt hatte, wo er jetzt einen Stoß Hotelbriefbogen vor sich liegen hatte
und eifrig schrieb. Nur einmal war er kurz von Janet Roscoe unterbrochen
worden, der es offenbar ausgesprochenen Spaß machte, die allgemeine
Unzufriedenheit noch zu schüren.
«Ich denke wirklich, Sheila —»
«Wie ich Sie beneide, Mrs.
Roscoe! Ich selbst habe schon seit Jahren keinen echten Gedanken mehr gehabt.
Hallo, Cedric! Cedric?»
Er hatte versucht, sich nach
dem Essen unauffällig aus der lebhaften Plaudergruppe wegzustehlen, am Fuß der
breiten Treppe aber holte Sheila ihn ein und legte, ein Glas in der Linken, die
rechte Hand mit den scharlachroten Nägeln auf sein Revers.
«Cedric! Daß dieses Weibsbild
noch niemand umgebracht hat...»
Cedric lächelte ein bißchen
schief, streifte Sheilas Hand ab, die ihn beunruhigte, und betrachtete die
vollen, leicht geöffneten und verlockend kußbereiten Lippen. Er kannte Sheila
jetzt seit einigen Jahren, hatte aber nie mit ihr geschlafen. Als Frau fand er
sie anziehend und abstoßend zugleich.
«Ich muß zu meinem Tutorium,
und vorher will ich versuchen, wieder ein bißchen nüchtern zu werden.»
«Wozu denn das, Schätzchen?»
«Du bist eine tolle Frau,
Sheila, aber — du tust dir selber keinen Gefallen, wenn du soviel trinkst.»
«Herrgott noch mal! Kommst du
mir jetzt auch mit diesem Mist...»
«Ja, Sheila, ich komme dir auch
mit diesem... wie sagst du so schön... mit diesem Mist. Aber jetzt muß ich
wirklich los. Später hole ich Lucy ab, und wenn du es genau wissen willst...»
Er sah sich angewidert um. «Dieses ganze Trara kotzt mich allmählich an. Aber
ich habe mir nichts vorzuwerfen. Erst bin ich eingesprungen, als —» Er
unterbrach sich. «Entschuldige, Sheila. Das hätte ich eben nicht sagen dürfen.
Kannst du mir noch mal verzeihen?» Er gab ihr einen flüchtigen Kuß auf die
Wange, dann drehte er sich um und verließ das Hotel.
Sheila sah ihm nach. Seine
Worte hatten weh getan. Trotzdem... sie hatte einfach eine Schwäche für diesen
Mann. Dabei wußte sie genau, daß es mit ihrem Urteil über Männer nicht weit her
war. Wenn sie nur an den dachte, mit dem sie mal verheiratet gewesen war... Ein
ruhiger, kultivierter, kopflastiger Englischprofessor, den die Oxford-Krankheit
voll erwischt hatte, dieses tückische Leiden, das seine Opfer in der Illusion
wiegt, sie seien in Wissens- und Meinungsfragen unfehlbar. Eine echte
Katastrophe, diese Ehe! Danach eine Kette unzuverlässiger, egoistischer, eitler
Verehrer. Und dann Theo, der arme Theo, zu dessen Gunsten man immerhin sagen
konnte, daß er ein
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