Tod für Don Juan
oder zwei provisorische Kontaktadressen hatten.
Allmählich war die Erinnerung an die Idylle verblaßt. Außerdem gab es da noch
dieses tolle Mädel in Münster, diese bereitwillige Hausfrau in Hamburg und so
weiter und so fort. Nach und nach hatte er sich (wie so viele Kameraden vor
ihm) mit der betrüblichen Tatsache abgefunden, daß Kriegsliebschaften in den
meisten Fällen von vornherein zum Scheitern verurteilt waren.
In Kalifornien hatte er dann
Shirley kennengelernt und geheiratet. Von der Seligkeit der ersten Ehejahre war
vielleicht inzwischen nicht mehr viel geblieben, aber je länger sie es
miteinander aushielten, ohne den Scheidungsrichter zu bemühen, desto mehr gab
es, was sie beieinander hielt: Heim, Kinder, Freunde, Erinnerungen,
Versicherungspolicen, und vor allem wohl die langen gemeinsamen Erfahrungen als
Mann und Frau. Dreiundvierzig Jahre inzwischen.
Vor der Hochzeit mit Shirley
hatte er einen ebenso ehrenwerten wie ehrlichen Brief an Betty Fowler
geschrieben, auf den nie eine Antwort gekommen war. Wahrscheinlich, hatte er
sich gesagt, ist sie inzwischen verheiratet. Sie war eine außergewöhnlich
attraktive junge Frau gewesen — blasser Teint, Sommersprossen, rotes Haar —,
für die so mancher Gl bereitwillig einen Monats-, ja einen Jahressold
hingegeben hätte.
Vor einem halben Jahr war dann
— Persönlich und Vertraulich! — ein Brief von ihr eingegangen, gerichtet an den
Wohnsitz, den er 1947 in Los Angeles gehabt hatte, so daß es eigentlich mehr
ein glücklicher Zufall war, daß ihn das Schreiben überhaupt erreicht hatte.
Natürlich hatte der Brief die Schleusen der Erinnerung geöffnet, die durch den
langen zeitlichen Abstand noch einen zusätzlichen Glorienschein bekommen
hatten. Sie habe damals seinen Brief bekommen, gestand Betty, ja, sie besitze
ihn immer noch. Da aber sei sie bereits mit einem Kraftfahrzeugmechaniker aus
Cowley verheiratet und im vierten Monat schwanger gewesen. Alles in allem habe
sie vier reizende Kinder bekommen, drei Mädchen und einen Jungen. Ihr Mann sei
1988 in den Ruhestand gegangen und leider schon sieben Monate später gestorben.
Sie selbst könne nicht klagen, sie habe keine Sorgen, jedenfalls keine Sorgen
finanzieller Art, dafür aber acht (acht!) Enkel, sei aber trotzdem nicht zur
Wahl als «Großmutter des Jahres» angetreten. Sie habe ihm nur sagen wollen, daß
man, sollte er je wieder nach England kommen, vielleicht doch einmal... sie würde
sich schrecklich freuen...
Zu gern hätte er sofort zum
Telefon gegriffen, um mit ihr zu sprechen, aber sie hatte weder ihre Anschrift
noch ihre Telefonnummer angegeben, und mit einem Transatlantikgespräch hatte er
es einfach nicht geschafft, diese wichtigen Angaben in Erfahrung zu bringen.
Jetzt aber war er hier, ganz in ihrer Nähe. Und da seine Frau mit einem ihrer
Bewunderer ausgegangen war... Er hatte Shirley vom Hotelfenster aus
nachgesehen, dann hatte er in der Telefonzelle der Hotelhalle die Auskunft
angerufen. Und Wunder über Wunder — kaum zwei Minuten später war er mit der
Frau verbunden, die er Anfang Mai 1944, also vor über fünfundvierzig Jahren,
zum Abschied geküßt hatte, und fragte sie, ob sie Zeit und Lust habe, sich mit
ihm zu treffen. Ja, sehr, sehr gern, lautete die Antwort. Und so hatten sie
denn (gestern nachmittag war es für ihn noch dazu so besonders einfach gewesen,
sich unauffällig abzusetzen) nervös und voll freudiger Erwartung vor dem
Haupteingang der University Parks aufeinander gewartet.
«Und sie ist gekommen?» fragte
Morse.
«Ja», erwiderte Brown fast ein
bißchen verwundert. «Ja, natürlich. Ich war gegen zwei losgegangen, die St.
Giles’ hoch und die Keble Road hinunter bis zum Park. Und da stand sie und
wartete auf mich.»
«Und dann waren Sie an der
Badestelle und haben sich in eine der Ankleidekabinen gesetzt.»
«Ich hoffe, Sie verstehen das
nicht falsch, Inspector. Um das ganz klarzustellen: Wir haben uns nur ganz
sittsam geküßt und ein bißchen geschmust, und — mehr war eigentlich nicht.»
Morse musterte mit einem ihm
selbst nicht ganz erklärlichen Widerwillen den bemerkenswert gut erhaltenen
Romeo aus Los Angeles. «Auch mir ist viel daran gelegen, alles möglichst
klarzustellen. Ich danke Ihnen für Ihre offenen Worte.»
Brown stand auf und wandte sich
zum Gehen. Er schien sehr erleichtert, hatte aber offenbar noch etwas auf dem
Herzen, denn er blieb am Tisch stehen und sah sich suchend nach einem
Gegenstand um, den er mit seinem Blick
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