Tod im Albtal
Sie war wunderschön. Sie symbolisierte, was mein Leben ausmachte. Luxus und vollkommene Schönheit.
»Es gibt aber einen Hinweis. Eine Andeutung von jemandem, der Sie kennt. Sie hätten wild oats gesät, wie man so sagt.«
Johannes Martin drehte sich um. Stand jetzt bedrohlich nahe vor mir. Dann griff er langsam in seine Jackentasche. Mein Blick folgte jeder seiner Bewegungen. Empfand ich Angst? Eigentlich nicht. Ich war eher neugierig.
Er holte ein flaches Lederetui heraus, klappte es mit einer wütend raschen Handbewegung auf und hielt mir ein Foto hin. Es zeigte einen kleinen Jungen. Der Junge war braun. Ziemlich braun. Ein Mischling.
»Sie war eine Krankenschwester aus Namibia. Keine Nonne. Einfach nur eine Frau. Und das ist Samuel, mein Sohn. Ich sehe ihn einmal im Jahr, und manchmal wäre es besser, ich würde ihn niemals sehen. Glauben Sie mir: Das ist das einzige Kind, das ich habe. Und jetzt verschwinden Sie, oder Ron nimmt sich Ihrer an.«
Ich tat, was er mir empfohlen hatte. Ich glaubte ihm und verschwand.
* * *
Waldbronn, oberhalb von Ettlingen, ein Kurort mit Park, Thermalbad, netten Restaurants und Cafés sowie bester Luft, lag auf meinem Weg zurück aus Schwann.
Allmählich wurde ich der Mördersuche ein wenig überdrüssig. Nicht nur das. Ein Leben lang hatte ich mich im Wesentlichen um mich selbst gekümmert: um mein Aussehen, mein Wohlbefinden, meinen Luxus und meine Vergnügungen. Ernsthafte Probleme hatte ich versucht auszuklammern, fest davon überzeugt, dass sie Falten machen und sich in Form von Augenringen niederschlagen.
Ich hatte stattdessen angenehme Erlebnisse gesammelt wie Perlen. Und aus diesen hatte ich mir eine Kette gebastelt, die ich mit Genugtuung trug. Diese Kette schmückte mich, aber sie verdeckte auch etwas.
Was wäre ich ohne diese Kette und ohne meine teure Uhr?
Auf einmal sprach ich mit diesen Menschen, die Friederike irgendwie gekannt hatten. Ich drang in ihr Leben ein und entdeckte hässliche kleine Dinge, die ich gar nicht wissen wollte.
Mein Instinkt sagte mir, dass der Besuch bei Seiboldts ebenfalls kein Sonntagsspaziergang werden würde. Besser, ich brachte ihn bald hinter mich.
Wenn Janine wirklich alle Männer gesehen hatte, die sich an jenem Abend im ersten Stock herumgedrückt hatten, wäre damit der letzte mögliche Dieb der Dokumente auf der Liste abgehakt.
Die Familie Seiboldt befand sich gerade im Garten beim Kaffee. Sie bestand aus Herrn Seiboldt, seiner Frau und der Tochter, die im Rollstuhl danebensaß. Sie mochte etwa fünfunddreißig Jahre alt sein. Ihr Kopf war zu groß für den Körper, ihr Gesichtsausdruck der eines allzu weisen Kleinkindes. Vor sich hatte sie eine Schachtel mit Papierschnipseln, und in der Hand hielt sie eine Schere. Es war offensichtlich, dass sie all diese Papiere in mühsamer Kleinarbeit zerschnitten hatte. Vermutlich wurden sie danach weggeworfen, aber gnädigerweise wusste sie das nicht. Sie würde neue Papiere zerschneiden. Sinnlos.
Plötzlich war ich froh, dass ich ein unordentliches, aber gesundes Kind hatte, das irgendetwas von mir in die Zukunft tragen würde.
Frau Seiboldt war eine schmale, fast hagere Frau mit angespannten Zügen und kurzem rotem Haar. Sie war wahrscheinlich früher sehr attraktiv gewesen. Jetzt wirkte sie verhärmt.
Die Seiboldts hatten bestimmt einmal ein schönes Paar abgegeben, denn ihr Mann, Herr Seiboldt, den man aus der Presse zur Genüge kannte, legte sichtlich Wert auf Kleidung und Figur, war groß und schlank und trug sein leicht zurückweichendes grau-blondes Haar flott geschnitten. Sein Händedruck war kraftvoll, sein Blick offen und gerade. Er war mir nicht direkt unsympathisch. Umso mehr schockierten mich seine ersten Worte.
»Liebe Frau Tobler, Sie scheinen es darauf angelegt zu haben, Ihre herausragende Stellung als die anerkannte Gesellschaftsdame von Ettlingen zu ruinieren.«
»Wie meinen Sie das?«
»Männer gelten zwar als schweigsam, aber so schweigsam, wie Sie denken, sind wir auch wieder nicht. Ich habe zwei Anrufe bekommen, dass Sie nach einer offenbar willkürlichen Methode Männer aufsuchen und sie zu ihrem Verhältnis zu Friederike Schmied beziehungsweise deren Mutter befragen.«
Ich starrte ihn an. Haltung bewahren, Swentja! Mit einem blasierten Lächeln wartete ich ab.
Seiboldt redete sich in Rage. »Was soll das? Ich war nicht immer und in allem einer Meinung mit Kollege Schmied. Aber ich hatte nichts mit seiner Frau zu tun und erst recht nichts
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