Tod im Albtal
ganz deutlich: Hier in diesem Dreieck lag die Lösung.
Wir parkten in der Tiefgarage, meine Schneeflocke wirbelte davon zu letzten Vorbereitungen, Dehnübungen, Aufwärmen und Umziehen.
Ich hatte noch viel Zeit, bis die Vorstellung anfing. Lustlos ging ich in das große Einkaufscenter am Ettlinger Tor und trank einen Espresso. Ohne Freude wanderte ich durch die Läden, fand nichts und kaufte nichts und kehrte zu früh ins Theater zurück. Die Garderobiere ließ mich ein.
Ich schlenderte durch die kahlen Vorräume, die sich nur langsam füllten. Der mobile Buchhändler baute seinen Stand mit Büchern auf. Er scherzte mit den Garderobieren, den Rotkreuzsanitäterinnen, dem Hausmeister und dem Feuerwehrmann.
Nachdenklich ging ich nach oben ins Große Haus. Die steinernen grauen Hallen und Treppenaufgänge des Theaters waren Geschmackssache. Die etwas düstere Architektur der siebziger Jahre lenkte zumindest nicht von der Kunst ab.
Ich nahm meinen Platz ein und musste viele Male aufstehen, um andere Zuschauer durchzulassen.
Als ich mein Handy abstellte, sah ich, dass ich eine SMS bekommen hatte: »Können wir uns treffen? Morgen Abend um sieben in Frauenalb? Bin mit meiner Innung dort im Restaurant ›König von Preußen‹. Treffen wir uns kurz in der Ruine? Gruß Lieselotte Stolze«.
Ich seufzte, drückte »Ja« und stellte das Handy ab.
Und hatte fast zwei Stunden Zeit, um einmal mehr Elenas Werk zu bewundern, das in eine geheimnisvolle Welt entführte und nicht eine einzige Sekunde langweilig wurde.
Das Bühnenbild war farbenprächtig und so romantisch, dass auch nostalgische Gemüter zufriedengestellt wurden. Die Verbindung von Charles Dickens’ »Weihnachtsgeschichte« mit dem »Nussknacker« schien ganz wunderbar gelungen. Die klassischen Bravourstücke der beiden Pas de deux waren zauberhaft und phantasievoll. Die lebensgroßen Puppen, die in der Phantasie arme Kinder beschenkten, beeindruckten auch uns Erwachsene, und die tanzenden Schneeflocken – entzückend meine eigene Flocke – waren bei ihrem Kristallwalzer so anmutig wie Feen. Das Publikum applaudierte begeistert bei dem hübschen chinesischen Tanz, der von einer zierlichen Asiatin dargeboten wurde, und letztlich verzauberte Tschaikowskys Musik uns alle. Flüchtig dachte ich an Hagen. Es wäre schön, ihn in solchen Momenten an meiner Seite zu haben. Seine Kommentare zu hören. Mit ihm zu lachen, zu streiten.
Ich nahm eine zufrieden summende Schneeflocke mit nach Hause. Sie schien außerordentlich guter Laune zu sein. »Du hast wunderbar getanzt!«, lobte ich sie. Sehnsucht nach meiner eigenen Tochter ergriff mich mit einer plötzlichen Heftigkeit, die mich selbst erstaunte.
»Aber ich bin nur eine von vielen im Corps de Ballet , doch ich kann mehr«, sagte sie gleichzeitig verträumt und entschlossen. »Und ich darf mehr. Ich darf in einer modernen Inszenierung, keine ganz große Sache, ein kleines Solo tanzen. Ab übernächster Woche. Eigentlich war Harriet dafür vorgesehen …«
»Harriet? Deine Freundin, die Engländerin. Sie ist auch ganz entzückend.«
»Nicht mehr!« Meine Schneeflocke kicherte. »Die hat einmal zu oft mit dem Bühnenmaler getanzt. Sie ist schwanger.« Das g klang wie ein k, doch es war erstaunlich, wie gut ihr Deutsch schon war.
»Oje. Sie ist noch so jung. Und so ein … süßes Mädchen. Was bedeutet das nun?«
» Well, not much. Ihre Karriere ist vorbei! Over. Period «, sagte die Schneeflocke und summte fröhlich in eine noch immer halbwegs laue Herbstnacht hinein. Bitch!
* * *
Ich schlief ganz schlecht in dieser Nacht.
Da konnte mir auch mein neues champagnerfarbenes Sleepshirt von David Nieper nicht helfen. Ich saß im Bett, sah aus wie eine Praline, die keiner auswickelte, und konnte nicht schlafen. Verdammt. Früher hatte mir stets so etwas Einfaches wie eine nette kleine, schnell gekaufte Sweatjacke von Dolce & Gabbana, in der ich dann erst einmal einen zünftigen Spaziergang machte, geholfen, mich besser zu fühlen. Auch eine simple Handtasche von Mandarina Duck für nur zweihundert Euro, die es sogar in eher volksnahen Läden wie Karstadt gab, hatte mich über eine schlimme Krise hinwegtrösten können. Friederikes Tod jedoch hatte mich emotional aus der Bahn geworfen. Zum ersten Mal blickte ich hinter die glatte Oberfläche meiner Welt und erschrak darüber, was ich dort sah.
Ich grübelte. Als neue Schlüsselfigur hatte sich für mich Moammar Hellali
Weitere Kostenlose Bücher