Tod im Albtal
natürlich. Aber für Rentner oder vielleicht für Dichter, die sich zurückziehen wollten, mochte so ein netter Ausflugsort mitten im Nirgendwo reizvoll sein.
Ich zog New York oder London als Ziele für Kurzurlaube vor. Dies waren Orte, an die ich kurz vor Weihnachten zu reisen pflegte, um Weihnachtsgeschenke zu kaufen, die man nicht überall in Deutschland fand. Erfahrungsgemäß hinkten selbst die hippesten Läden bei uns eine Saison hinter London her.
Dennoch mochte ich das gewellte, weithin überschaubare Hügelland mit den Feldern und den kleinen Wäldern, die die Landschaft fast auf englische Weise unterbrachen. Vor allem im Sommer und mit offenem Verdeck fuhr ich gerne zum Joggen irgendwo an einen Waldrand. In solchen Momenten konnte ich die Motorradfahrer verstehen. Durch die Natur rasen, dabei riechen, hören, sehen und fühlen. Vielleicht war diese verrückte Idee mit dem »Highway to Heaven« doch gar nicht so dumm. Ich würde mir eine kleine schicke Suzuki gönnen und zum Kaffee nach Bad Herrenalb sausen. Und Robert Bleibtraus heruntergekommenes Hundeasyl würde es dann nicht mehr geben.
Die Schwanner Warte war eigentlich ein Aussichtsturm aus Holz. Der Hügel, auf dem der Turm stand, lag abseits vom Dorf sanft ansteigend am Waldrand und galt als Paradies für Segel- und Drachenflieger. In dem gutbürgerlichen Restaurant Adlerhof aßen ältere Leute gemütlich Schonkost und genossen den Blick ins weite Land. Die rustikaleren Cafés und Wirtschaften am Waldrand hingegen dienten als zünftigere Einkehr für Zweiradfahrer.
Etwas versteckt gelegen und nur durch eine kleine Seitenstraße von der steilen Landstraße nach Dobel her erreichbar, fand ich das Hinweisschild zum Forellenhof »Pater Martin«.
Einige Autos parkten davor, und Leute kamen mit Plastiktüten aus dem Gelände, in denen sich, der Form nach zu urteilen, schlachtfrische Forellen befanden.
Ich passierte den Eingang mit dem hölzernen Schild, das einen lachenden Mönch zeigte, wie er eine Forelle in der Hand hielt, und ging auf knirschenden Wiesenwegen an mehreren Teichen vorbei, in denen sich vermutlich Forellen in verschiedenen Entwicklungsstufen befanden. Aus einer kleinen Bude qualmte es und roch nach Geräuchertem. Lange Bänke waren im Rasen aufgestellt. Leute verspeisten Fische aus Plastikfolien. Nicht meine Art zu essen – ich zog schicke rohe Sushis in angesagten Japan-Bars vor –, aber ich musste zugeben, dass es ziemlich köstlich roch. Mein Magen knurrte, doch ich musste meiner Tochter, wenn sie zurückkam und hoffentlich vom englischen Weißbrot nicht komplett aufgedunsen war, ein Vorbild sein. Und da brauchte sie mir nicht noch mal mit Elena als Entschuldigung kommen. Elena war bestimmt niemals wirklich mollig gewesen, wie sie behauptet hatte. Sie war gar nicht der Typ dafür, und davon verstand ich etwas. Manche Frauen aus unseren Kreisen waren einfach nur neidisch und verbreiteten solche Geschichten.
Mürrisch ging ich weiter.
Im hinteren Teil des großen Grundstücks war ein Verkaufsstand aufgebaut. Jugendliche halfen überall. Sie fütterten, fischten, schleppten Eimer herum, bedienten oder trugen Tabletts in ein größeres Haus am Ende des Geländes.
Ich war, auch im Restaurant, keine allzu begeisterte Forellenesserin, denn es schien nahezu unmöglich, eine Forelle zu verspeisen, ohne mit diesen winzigen Grätchen in Kontakt zu kommen, die man dann mitsamt einem Forellenfleischbrei irgendwo diskret und sauber aus dem Mund befördern und auf die Seite des Tellers legen musste. Das gelang niemandem, und deshalb sah ein Forellenteller anschließend für meinen Geschmack unappetitlich aus.
Ich fragte mich zu Pater Martin durch. Die Jungs wiesen mir maulfaul den Weg. Ich hatte nicht bei allen den Eindruck, dass es zu ihren ursprünglichen Lebenszielen gehört hatte, irgendwo draußen auf dem Land mit Fischen auf Du und Du zu sein.
Pater Johannes Martin war ein schmaler, kleiner Mann, dessen schütteres Haar noch die ursprüngliche hellbraune Farbe aufwies. Sein Gesicht schien so wandelbar, als wäre es aus Gummi. In einer Menschenmenge hätte man ihn überhaupt nicht wahrgenommen.
Diesen Gedanken versuchte ich festzuhalten. Friederikes Mörder war vielleicht vor oder nach seiner Tat in Ettlingen unterwegs gewesen. Ein unauffälliger Mensch. So wie dieser Mann hier.
»Nehmen Sie Platz, Frau Tobler. Sie sind eine Bekannte von Frau Schmied, sagten Sie am Telefon? Gibt es irgendetwas, was ich für die Bedauerliche noch
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