Tod im Albtal
Sie hatte einen Altar gebaut, auf dem saß ihr Jensi, und dort würde er zeitlebens einen Stammplatz haben, selbst wenn er kleine Katzen quälte und im Aldi Schnaps klaute.
Ich konnte diese Megamütter schon während meiner eigenen Erziehungszeit nicht ausstehen. Samantha war wunderbar, aber kein Wunderkind. Sie war einfach nur meine Tochter.
»Ich habe ihr deutlich gesagt, dass sie meinen Wunsch nicht ungestraft missachten kann. Ich vertrete ein christliches Menschenbild und erwarte das von unseren Pädagogen auch. Jens ist ein anständiger Junge. Und da, wo er jetzt ist, da wird er es auch bleiben.«
»Nun ist Frau Schmied ja bedauerlicherweise tot …«
»Ich persönlich bedauere das gar nicht«, erklärte Sigrun Gramlich entschieden. »Ich denke, Gott sieht alles und fällt seine ganz persönlichen Urteile. Dann sucht er sich Diener, die seine Aufgaben ausführen. Sie hat den Herrn gelästert. ›Der Ali ist Gott genauso nah und lieb wie Ihr Jens‹, hat sie zu mir gesagt.«
»Fällt Gott auch Todesurteile?«
»Irgendjemand hat das Urteil vollstreckt. In seinem Auftrag.«
»Trotzdem …«, murmelte ich, eigentlich schon im Gehen, denn diese Frau mit ihrem Fanatismus war mir unheimlich, »man bringt nicht einfach so Leute um. Aus solch einem Grund, meine ich.«
Jetzt stieß sie sich von der Wand, an der sie halb gelehnt hatte, ab und kam auf mich zu. Ganz nah. Zu nah.
Fixierte mich mit ihren jadeschwarzen kalten Augen. »Es gibt keinen besseren Grund als den der Gottesverachtung, oder?«
Als ich von Rastatt nach Ettlingen fuhr, fror ich, obwohl es so warm draußen war.
Und ich fürchtete, ich musste für meine Ermittlungen über Friederikes Tod noch eine dritte Linie ziehen.
* * *
Wahrscheinlich war das die Schwedin in mir, aber Wasser in jeder Form beruhigte mich und brachte meine Gedanken in eine Art Ordnung. Am besten wäre natürlich das Meer gewesen, aber im Badischen musste ich mich mit dem Rhein begnügen.
Auf der Rückfahrt von Rastatt fuhr ich zunächst auf die Bundesstraße 36, die nicht mehr durch die am Rhein aufgereihten Dörfer zuckelt, sondern schnell und anonym an einer Lärmschutzwand entlangführt. Die freundlichen Dörfer wie Muggensturm und Durmersheim sind nur noch Namen auf Straßenschildern.
Ich nahm die Ausfahrt Rheinstetten, durchquerte die weit auseinandergezogene Kleinstadt, eigentlich mehr ein zu groß gewordenes Dorf, bis zum Ortsteil Neuburgweier und parkte direkt am Rhein. Dort gab es ein einfaches kleines Restaurant, in dem draußen einfache kleine Gerichte serviert wurden.
Mit meinem Kostüm war ich dafür zwar nicht ganz passend gekleidet, aber wenn ich die Jacke auszog und die Blusenärmel hochkrempelte, würde es gehen.
Ich schaltete auf meine volkstümliche Seite um und bestellte bei einem jungen Mädchen ein Radler, an dem ich in kleinen Schlucken nippte. Um mich herum saßen Gruppen von Ausflüglern. Die meisten waren aktiv aussehende Rentner. Neugierige Blicke streiften mich.
Diese grässliche Person mit ihrem Gotteswahn, diese bösen Augen. Mich fröstelte. Ich hätte jetzt gerne mit jemandem geredet. Am besten wäre Hagen Hayden gewesen, trotz allem. Er kannte eine Seite von Friederike, und ich kannte eine andere. Wenn er mich ernst nehmen würde, könnten wir gemeinsam der wahren Friederike vielleicht auf die Spur kommen.
Ich atmete die sich leicht abkühlende Herbstluft ein und versuchte mich zu beruhigen.
Ich hatte mir noch nie die Zeit genommen, es bewusst wahrzunehmen, doch dies hier war ein wunderschöner Platz. Kein Nobelrestaurant, aber das Gefühl von Sommerfrische und einfachem Glück. Gerade tuckerte die kleine Fähre über den Rhein, die Wanderer, Radfahrer und Motorräder nach Neuburg in die direkt gegenüberliegende Pfalz transportierte. Große Schiffe auf dem Weg von Basel nach Amsterdam brachten so etwas wie die freie Luft der Meere mit sich und frischten damit den Alltag der zahlreichen älteren Leutchen auf, die am Ufer ihre Campingstühle aufgebaut hatten und bei Kaffee und Kuchen auf den gleichmäßig dahinziehenden Strom blickten. Viele hatten kleine Hunde dabei, die unter den Stühlchen im Schatten lagen und nur gelegentlich lustlos einen Schwan ankläfften.
Es war jetzt schon fast Ende September. Die Ausflügler hier waren Lebenskünstler und genossen jeden letzten Zipfel des Sommers. Und es kostete nicht einmal etwas.
Weiter links öffnete sich ein romantischer Altrheinarm. Auf dem leicht grünlich schimmernden Wasser
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